Der Titel dieses Blogs spielt natürlich auf das berühmte Magazin "Cahiers Du Cinema" (Notizen zum Kino) an, dessen Filmkritiker Francois Truffaut und Claude Chabrol später Regisseure und Wegbereiter eines neuen französischen Kinos wurden.
Dennoch ist dies kein arthouse Blog. Es ist ein Blog über die Liebe zum Film. Gute Filme. Und sehr schlechte. Egal woher sie stammen. Egal wie sie zu klassifizieren sind.

Mittwoch, 29. März 2017

DER EXORZIST (1973) - "... UND LASS MEIN FLEHEN ZU DIR KOMMEN"






Das „Cinema I“ in New York.
Das Foyer des großen Kinos liegt in angenehmem Dunkel. Die Tür zum Kinosaal ist geschlossen. Ganz leise, von Ferne, dringen Geräusche heraus. Das Stimmengewirr von sich unterhaltenden Menschen, scherzenden Jugendlichen. Lachen, das übermütige Werfen von Pappbechern, das Rascheln von hunderten Händen die zeitversetzt in Tüten mit Popcorn greifen. Das unruhige Getrappel von Füßen. Der eine oder andere beißt in einen Burger. Gehüstel, Gemurmel.
Kinotamosphäre.
Das Licht im Kinosaal, das unter der großen Flügeltür ins Foyer gesickert ist, verlischt.
Dann beginnt der Hauptfilm.
Seltsame, dissonante Töne erklingen.
„Allahhu akbar“ sind die ersten Worte die man hört, formvollendet und klangschön gesungen von einem Muezzin.
Nach einer halben Stunde ist es still im Kino.
Wer sich jetzt im düsteren Foyer aufhielte, er würde es hören, wenn drinnen eine Stecknadel auf den roten Samtteppich fiele.
Es ist eine neue, eine bleierne, eine hypnotische Stille. Es ist das Schweigen einer Menge, die gerade Zeuge einer historischen Wandlung wird. Das selbst gewandelt wird.
Nach einer dreiviertel Stunde gedämpfte, unterdrückte Laute, dann das Getrampel von Füßen. Mehrere Menschen stürmen aus dem Kinosaal, die Augen aufgerissen. Ein junger Mann mit Schlaghosen schafft es bis zu einer Bank im Foyer auf der er zitternd niedersinkt. Eine junge Frau mit langem braunem Haar, das bis zum Gesäß reicht, hat nicht so viel Glück. Sie tastet sich zur Wand, dann wird alles schwarz, sie verliert das Bewusstsein. Als sie an der Wand hinab zu Boden sackt ist sie bereits ohnmächtig.
Fünfzehn Minuten später beginnt das Publikum im Saal zu schreien.
Es ist der 26. Dezember 1973.
Zwei Tage nach Weihnachten. Boxing Day.
Es ist die Weltpremiere von „Der Exorzist“

Eines der berühmtesten Filmplakate der Welt
Dieser Film, entstanden unter der Regie des oscarprämierten Autorenfilmers William Friedkin nach dem Roman und dem Drehbuch von William Peter Blatty, der in den frühen Siebzigern im US Kino aufschlug wie ein Meteor der eine Spezies auslöscht, ist eines der einflussreichsten, meist zitierten, meist parodierten, meist imitierten und fortwirkendsten Werke der Filmgeschichte.
Ausnahmslos jedes Werk des Kinos der Angst, das nach 1973 entstand, trägt das Zeichen dieses einen Films.
Es gibt eine Geschichte des unheimlichen Films vor Der Exorzist.
Und eine danach.

Der Sinn dieser Reise zurück in der Zeit ist es, die Gründe zu erhellen, weshalb dem so ist. Nicht mit dem Strahl eines Scheinwerfers, sondern im unruhig flackernden Schein eines einzelnen, letzten Streichholzes; ein kurzer Blick, ein Blinzeln nur, bevor es verglimmt.

  Und wir im Dunkel bleiben.
  Allein.




Nie zuvor gab es solche oder auch nur annähernd vergleichbare Reaktionen eines Publikums auf einen Kinofilm.

Die Berichte sind in Teilen kaum fassbar, doch sie sind authentisch, sie sind belegt, es gibt ausreichend Filmmaterial, das den Wahrheitsgehalt der Schilderungen eindrucksvoll beweist. Nicht nur scharte sich das Publikum in langen Schlangen vor praktisch allen Kinos in denen der Film lief, wartete Stunden lang, und kam, wenn es nicht das Glück hatte eine Karte zu ergattern, am nächsten Tag wieder. Nein, Zuschauer kampierten regelrecht in den Foyers. Es wurde nötig die verschiedenen Besucherschlangen zu organisieren; ab einem bestimmten Zeitpunkt mussten die größeren Häuser sogar Polizeiverstärkung anfordern, weil sie den Ansturm nicht mehr bewältigen konnten. Sehr schnell mussten die Kinobetreiber auch medizinisches Personal zur Verfügung stellen, da der Kinobesuch bei einigen Zuschauern extreme seelische und körperliche Reaktionen auslöste. Die Filmaufnahmen, in denen das Fernsehen in jenen Tagen versuchte das Phänomenen einzufangen, zeigen uns Besucher die völlig aufgelöst, zitternd und nahe der Hysterie die Aufführung verlassen. Viele stehen sichtlich unter Schock.

Manche sind nicht einmal mehr in der Lage zu sprechen und ihre Eindrücke zu schildern. Andere erbrachen sich während der Film lief oder verloren das Bewusstsein und mussten ins Foyer getragen werden. Ein Kinobesucher der 1974 mitten während der Filmvorführung ohnmächtig wurde, schlug mit dem Unterkiefer so hart auf dem Kinositz vor ihm auf, dass er sich den Kiefer brach. Er verklagte Warner Brothers, der Streit wurde außergerichtlich beigelegt.

Hartnäckig halten sich die Gerüchte über eine Fehlgeburt in Detroit und den tödlichen Herzinfarkt eines Mannes in New York.


Fest steht: Was damals vor sich ging hatte mit der Vorführung eines Spielfilms, wie sie üblicherweise ablief, nichts mehr zu tun. Hier wurde man Zeuge eines Ereignisses das völlig beispiellos war, das in der Geschichte Films absolut einzigartig bleiben würde. Erstmals überhaupt hatte ein Film die Schwelle der Leinwand überschritten und sich des körperlichen Befindens seiner Zuschauer bemächtigt.

Wie konnte es geschehen, dass dieser eine Film beim Publikum, nahezu überall auf der Welt, eine Reaktion von fast hysterischen, tiefenpsychologischen Ausmaßen auslöste, wie das keinem anderen Werk in der Geschichte des Kinos gelang? 



Es war das Zusammenspiel einer ganzen Reihe von Faktoren, die sich, letztlich, in drei große Gruppen einordnen lassen Die Oberfläche, Die mittlere Ebene und Die unterbewusste Ebene. Diese drei Ebenen potenzierten sich in diesem außordentlichen Spezialfall noch durch einen konkreten Außeneinfluss.


Defloration mal anders....
An der Oberfläche, manche nennen sie auch die „Ebene des Niederknüppelns“, treffen wir in unserem Streifzug durch die Ursachen natürlich erst einmal auf die für die Verhältnisse der Frühsiebziger unerhört extremen und in ungekannter Weise verstörenden Schockeffekte. Das war, nach damaligen Maßstäben, eine Welle an Gore, Splatter, an Obszönitäten und Tabubrüchen die es im Kino nie zuvor gegeben hatte. Nicht einmal in Die Nacht der lebenden Toten der 1968 durchaus noch als minderwertiger B-Film betrachtet worden war. Der unmittelbare Shock Value war für 1973 einfach extrem hoch, Der Exorzist zeigte Übernatürliches und Widerliches so detailliert und explizit, wie dies sonst nur pornographischen Filmen in der Darstellung sexueller Vorgänge vorbehalten war. Da wurde ganz erkennbar eine Linie überschritten. Dass es auch noch ein unschuldiges Kind, ein stupsnäsiges Mädchen war, das Opfer dieser Ungeheuerlichkeiten wurde, verstärkte den Effekt noch indem es Beschützerinstinkte weckte.

Regan schwebt über den Dingen
Diese Schockwerte, aus heutigem Blickwinkel zwar teils immer noch krass aber erkennbar punktuell und mit Intelligenz eingesetzt, wurden durch einen zweiten Aspekt ergänzt:
Die schiere Brillanz der Effekte die dazu führte, dass Dinge auf der Leinwand zu sehen waren, die der damalige Zuschauer sich nicht erklären konnte, die seine Vorstellungskraft sprengten – weil sie nicht dem damaligen Stand des Filmtricks entsprachen, den sie deutlich und weit überschritten.
Dem Zuschauer wurde eine Tüte voll unfassbarer Wunder geboten. Schrecklicher Wunder.
Die zeitgenössischen Kritiker, mit löblicher Ausnahme von Roger Ebert, bezogen sich fast alle ausschließlich auf diese oberste und oberflächlichste Ebene von Der Exorzist, und unterstelltem dem Film, aus einer erstaunlich konservativen und spießigen Haltung heraus, er sei lediglich eine Attraktion, eine filmische Jahrmarktsbude , die nicht mehr als eben diese Schocks zu bieten habe.

Hätte das den Tatsachen entsprochen, würde ich jetzt nicht diese Zeilen tippen und Sie sie nicht später lesen. Und dann gäbe es nicht noch weitere Ebenen auf denen Der Exorzist funktioniert. Doch es gibt sie, und gab sie schon damals, und auch sie wirkten auf das damalige Publikum in voller Wucht ein.

Aus heutiger Sicht kann man jedenfalls schmunzelnd feststellen, dass William Friedkin 1973 die versammelte Kritikergemeinde der USA vorführte, indem er zeigte, wie blind diese angeblichen Fachleute für Qualität wurden, wenn man sie vorab mit etwas Erbsensuppe verstörte.



Auf der mittleren Ebene begegnen wir absolut perfektem filmemacherischem Handwerk und sehr starken schauspielerischen Leistungen. Der Film nimmt sich selbst nämlich keineswegs als Horrorfilm wahr, sein Konzept war und ist ein völlig anderes. William Friedkin und auch William Peter Blatty verstanden den Stoff stets als ernsthaftes, seriöses, fast halb-dokumentarisches Drama über dämonische Besessenheit. Eine Meditation über die Kraft des Glaubens im Angesicht des Schreckens. Schon die ersten Worte des Films, aus dem muslimischen Gebet stammend, bringen dieses Motiv auf den Punkt: Allahu akbar – „Gott ist am Größten“

Deshalb nimmt der Film seine Figuren so ungeheuer ernst, deshalb verlangte er nach einer so hochkarätigen Besetzung. Vieles, namentlich in den ersten zwei Dritteln des Filmes, ist in kammerspielartiger Intensität inszeniert, mit einem Raum für Stille und tiefes Erleben. Friedkin arrangiert die Interaktion der Charaktere mit einer Sensibilität und Vielschichtigkeit die nicht zufällig an Ingmar Bergman erinnert, an Carl Theodor Dreyer erinnert.

Regisseur Friedkin (links) mit Jason Miller als Karras
Er bezieht uns fast körperlich ein in die Verzweiflung und die Schuldgefühle des Karras, der seiner Mutter nicht helfen kann, und über ihrem Schicksal letztlich verzweifelt. Wir folgen seinen Qualen bis in seine Träume hinein. Auch in der Familie MacNeil finden wir diese Ernsthaftigkeit wieder. Der Film zeigt ungefiltert und mit voller Wucht, was das Einbrechen einer solchen übernatürlichen Katastrophe, wie der Besessenheit/Krankheit der Tochter in das alltägliche Leben für eine kleine Familie bedeutet. Mit allen Verheerungen, Traumatisierungen, allen Entfremdungen und Schmerzen die das zur Folge hat. Wir gehen mit Chris MacNeil buchstäblich durch die Hölle und wieder zurück. Selbst gute Horrorfilme nehmen ihre Protagonisten kaum je so ernst. 

Dem Zuschauer, dem es gelingt sich auf diese erstaunlich dreidimensionalen und tiefgründigen Figuren einzulassen und mit ihnen zu fühlen, was, bedenkt man die allgemeine Abgestumpftheit unserer Zeit, 1973 wesentlich leichter gewesen sein dürfte als heutzutage, wird ein ganz spezielles und intensives Erlebnis geboten.  Nicht zu verschweigen, dass die Regie es versteht eine regelrecht wuchernde Atmosphäre innerer Spannung aufzubauen, die sich wie Nebel ausbreitet, Schwaden ängstlicher Vorerwartung die manifester werden und sich letztlich wie Schlingen um den Hals des Zuschauers legen – und zuziehen. 

Kultureller Ritterschlag: Eine Parodie in "Die Simpsons"

Auf der unterbewussten Ebene ist Der Exorzist mit Abstand am allerstärksten, und es ist diese Ebene aus der er seine bleibendste Wirkung schöpft. Bei jedem Werk des Unheimlichen muss es eine Kommunikation mit dem Publikum auf einer nicht völlig bewussten Ebene geben, jedenfalls wenn es gut ist, jedenfalls wenn es Kunst sein will. Wobei die stillschweigende Absprache besteht, dass die Regie manipuliert und das Publikum sich mit einer gewissen Bereitschaft manipulieren lässt, jedoch ohne dass es jemals ausgesprochen wird.

William Friedkin und Drehbauchautor Blatty ziehen auf dieser Ebene zahllose Register auf außerordentlich kunstvolle Weise.

Wunderschön gefilmte Madonna: Die Kameraarbeit von Owen Roizman
Von vornherein wählt Friedkin vor allem über Bild, Schnitt & Ästhetik eine Filmsprache die mit Horrorfilmen zunächst einmal gar nichts zu tun hat; es ist die Sprache eines europäischen Avantgardefilms, und zwar eines ziemlich radikalen, die dem Mainstream-Zuschauer ausnahmslos alle üblichen Gewissheiten und Sicherheiten schroff verweigert.

Üblicherweise ist die narrative Struktur eines Filmes so angelegt, dass sie den Zuschauer schrittweise führt, ihm ausbuchstabiert was er verstehen soll, ihm Hinweise auf falsche Fährten und bevorstehende Plot Twists gibt. Der Exorzist bricht komplett mit diesem Konzept. Dem Zuschauer werden Brocken hingeworfen die er überwiegend in Eigenleistung zusammensetzen muss. Das fokussiert den Betrachter, nötigt ihn zu höherer Achtsamkeit.

Eines der wesentlichsten Elemente, neben der Handlungsstruktur, das den Zuschauer führt, ist die Filmmusik. Die Musik sagt uns wann es spannend wird, wann anrührend, wann ein komödiantisches Highlight bevorsteht.

Nicht so in Der Exorzist der auch damit radikal bricht.

Der Film verfügt überhaupt nicht über einen konzertanten Soundtrack. William Friedkin wählte stattdessen extrem verstörende Ausschnitte aus der modernen Experimental- und 12-Ton Musik aus, dissonante Stücke von Krzystof Penderecki, Hans Werner Henze, Anton Webern und George Crumb, die in abgründige atonale Klangwelten vorstoßen, sich in das Unterbewusstsein des Zuschauers wühlen. Das einzige halbwegs konventionelle Thema ist „Tubular Bells“ von Mike Oldfield, das heute, nicht ganz zu recht, als das Titelthema von Der Exorzist angesehen wird. Dadurch fehlen dem Zuschauer alle dramaturgischen oder musikalischen Signale sich zurechtzufinden. Besonders da die knappen Musikeinsätze so gesetzt sind, dass sie nie dort kommen, wo man sie erwarten oder benötigen würde – mehr noch, die permanenten unterschwelligen Signale der Künstlichkeit des Kunstwerks, wie sie eine klassische Filmmusik oder erklärende Handlung aussenden, fehlen ebenfalls völlig.

Weiterhin wartet die Tonspur mit zahlreichen expliziten Geräuschen (wie z.B. dem Geschrei von Schweinen kurz vor der Schlachtung) auf, die sich ständig in die Wahrnehmung des Zuschauers ätzen, ihn permanent verunsichern. Das betrifft sogar Nebensächlichkeiten wie Tür- und Telefonklingeln, aber auch die grauenvollen nicht-menschlichen Gutturallaute der dämonischen Wesenheit. Dergleichen hatte man im Kino nie zuvor gehört.
Tatsächlich attestierte niemand geringeres als der große Francois Truffaut Der Exorzist, den er offenbar schätzte, er verfüge über „die beste Tonspur der Welt“

Alte Feinde kann niemand trennen ...
Auch die großartige Kameraführung durch Owen Roizman, die sich den Sehgewohnten des Massenpublikums radikal verweigert, unterläuft ständig unsere Erwartungshaltung, fordert uns heraus. Beispielhaft sei hier nur die vielleicht berühmteste Einstellungsfolge des Films (und eine der berühmtesten der Filmgeschichte) erwähnt: Die Ankunft des Exorzisten. Üblicherweise sind helle Töne, besonders Weiß, farbdramaturgisch der Inbegriff des Guten. Diese Szene stellt dieses klassische Muster komplett auf den Kopf. Hier ist es die Silhouette des buchstäblichen schwarzen Mannes, der aus dem Taxi steigt, die Hoffnung verheißen soll. Wir sehen den dunklen Schemen vor dem düsteren MacNeil Haus stehen im Schein einer einzigen Straßenlaterne. Eine Einstellung die stark inspiriert ist von dem Gemälde Die Herrschaft des Lichts von René Magritte. Darüber legt sich ein Close Up der glühenden Augen der Entität die in Regan ist und gierig auf ihren alten Widersacher wartet. Schließlich als Chris MacNeil Merrin die Tür öffnet, ist es erneut eine gesichtslose dunkle Silhouette die ihr gegenübersteht, doch nicht Bedrohung bringt, sondern Rettung; erst dann tritt der Exorzist ins Licht und wird sozusagen Mensch. Die ganze Einstellungsfolge ist eine Umkehrung fundamentaler visueller Codizes. Die Kinematographie Owen Roizmans in Der Exorzist definierte an einigen Stellen, und für einige Jahre, neu, wie wir wahrnehmen und verstehen was wir sehen.

William Friedkin am Set  mit inoffiziellem Crew-Shirt.
Die entscheidende erzählerische Funktion aber übt im Kino der Schnitt aus. Im Falle von Der Exorzist, wird dem Zuschauer auch hier komplett der Boden unter den Füßen weggerissen, denn geboten wird nicht der gewohnte elegante Filmschnitt einer US Großproduktion, der kunstvolle Übergänge zwischen in sich abgeschlossenen Szenengefügen sucht, sondern ein extrem harter , oft desorientierender roher Kontrastschnitt, der, inspiriert von der Novelle Vague, direkt in die Mitte von Szenen springt, die „Übergänge“ oft eingeleitet mit einem krassen, schrillen Geräuscheffekt. Manche Szenen stehen regelrecht in aller Härte unverbunden nebeneinander.

Hier blieb dem Publikum nichts von dem, woran es sich gewöhnlich orientierte. Der Zuschauer von 1973 war es gewohnt durch einen Film geführt und bedient zu werden. So wie ein Tourist an der Hand eines erfahrenen Führers zu den Sehenswürdigkeiten der Weltstadt geführt wird. Was William Friedkin hier tat, war das Pendant dazu, einen Touristen mutterseelenallein in einer unbekannten fremden Stadt auszusetzen. In einem fremden Land. Nachts. Ohne Licht. Im Gangsterviertel. Und ihm im Abgang ins Bein zu schießen, weil‘s Spaß macht und schmeckt.

Es ist natürlich völlig unübersehbar, dass sich Der Exorzist dennoch einer ausgefeilten Dramaturgie bediente, nur war diese nicht in erster Linie auf Erzählstrukturen ausgelegt, sondern auf die Erlebnisstruktur des Zuschauers. Denn William Friedkin kam es primär darauf an, eine einzigartige Erfahrung, ein Erlebnis zu kreieren und nicht nur einen simplen, passiv zu betrachtenden Film.


Schon der Einstieg desorientiert den Zuschauer mit dem unerwarteten und ungewohnten Irakischen Setting. Dann läuft diese Prologsequenz auch noch in einer fremden Sprache mit Untertiteln ab, ein absolut unerhörtes Novum für einen US-Film jener Jahre. Erklärungen werden zum Teil weggelassen. Wir erfahren gar nicht erst, dass der alte Archäologe ein Priester ist, wir erfahren gar nicht, dass die kleine Plastik die er ausgräbt eine Darstellung des uralten assyrischen Dämons Pazuzu ist, dessen Steinstatue Merrin am Ende des Prologs wie zum Showdown gegenüber steht.

Wir bleiben mit unseren Vorahnungen allein. Allein in einer arabischen Welt in der es noch den Glauben an das Übernatürliche, an Omen, an den bösen Blick gibt.

Mit dem Bösen auf Du und Du: Pazuzu (links) und Lankester Merrin (rechts)

Bettkantengeschichten a la "Der Exorzist"
Dann der plötzliche, unvermittelte Sprung nach Washington, der einen erneut desorientiert. Zwar wird einem kurz das Familienidyll der MacNeils vorgeführt, dies übrigens sehr glaubwürdig, natürlich und intim. Dann aber wird, auch dies damals ungewöhnlich für den Zuschauer, eine zweite parallele Geschichte, die des Father Karras, erzählt, ohne dass dies irgendwie erklärt oder eine Verbindung hergestellt wird: Erneut Desorientierung. Es ist wie nach der Duschszene in Psycho – der Zuschauer fragt sich „Und wem sollen meine Gefühle nun gelten?“. Es gibt keine Antwort.
In beiden sich parallel steigernden Erzählsträngen (Karras wird immer verzweifelter und daher immer weniger sicher im Glauben, und der Teufel in Regan immer stärker) sind weitere Momente aufzufinden, die ganz direkt auf das Unterbewusstsein des Zuschauers einwirken.

Wer filmen will, muss leiden.
Wir erleben die ersten verstörenden Symptome der Kleinen, dann erste übernatürliche Geschehnisse, wie das bebende Bett, schließlich die Persönlichkeitswandlung und am Ende die sexuell aufgeladene Selbstverstümmelung mit dem Kreuz des Herrn. Dies wird kontrastiert mit einer Reihe medizinischer Untersuchungen die äußerst klinisch ablaufen, und sowohl dem Zuschauer als auch Regan, nichts, aber auch gar nichts ersparen. In diesem Kontext kommt es auch dazu, dass in Großaufnahme zu sehen ist wie an Linda Blair eine (nicht vorgetäuschte) Rückenmarkspunktion vorgenommen wird, und ihr (echtes) Blut auf das Laken spritzt. Es war diese Stelle an der die meisten Zuschauer das Bewusstsein verloren oder sich erbrachen. Diese dokumentarischen Sequenzen der immer drastischeren Untersuchungen werden uns später im Film regelrecht zwingen an die Realität des Übernatürlichen zu glauben – weil wir ja durchlebt haben, dass die Ärzte keine natürliche Erklärung finden konnten.
Dokumentarisch durchlebt.

Keine Chance bei Heidi Klum: Die Dämonenfratze
Parallel dazu werden auch in der Geschichte um Karras einige enorm wirkungsvolle Elemente eingebaut, unter anderem der Besuch in einer psychiatrischen Station, auf der sich die Mutter des Priesters befindet. Verstörend ist die Sequenz auf einer mehr subliminalen Ebene, denn der Zuschauer spürt, auch falls er es nicht weiß, dass die Szene in einer echten Klinik für Geisteskranke gedreht wurde (was der Fall war), und alle Kranken ,außer der Schauspielerin die Karras‘ Mutter spielt, echte Insassen waren. Es überträgt sich irgendwie eine sichere Empfindung, dass hier nichts vorgetäuscht wurde. Dann Karras surreal verfremdeter Alptraum (mit verzerrtem Ton) nach dem Tode der Mutter, in dem zum ersten Mal blitzlichtartig das weiße Pazuzu-Gesicht eingeblendet wird. Eine extrem beunruhigende Sequenz, die einen düsteren Schatten voraus wirft. Dieses grausige weiße Gesicht scheint noch öfter im Film auf, es handelte sich dabei ursprünglich um einen zurückgewiesenen Make-Up Test mit einem ersten Entwurf des Dämonen-Make Ups. Das darunterliegende Gesicht gehört Eileen Dietz. Es handelt sich dabei um die ersten subliminalen d.h unterschwelligen Bildeinblendungen die je im amerikanischen Spielfilm eingesetzt worden sind.

Schließlich, nachdem die Mediziner die Suche nach einer rationalen Erklärung endlich aufgegeben haben (und wir mit Ihnen) verschmelzen die beiden Erzählstränge, als Chris MacNeil durch einen gemeinsamen Freund auf die Idee kommt, ausgerechnet den mittlerweile psychisch angeschlagenen Karras mit dem Exorzismus ihrer Tochter zu beauftragen.

Wichtig für uns als Zuschauer ist, dass auch Karras, der ja Jesuit und studierter Psychiater zugleich ist, die Vorstellung einer dämonischen Besessenheit anfangs völlig ablehnt. Es widerstrebt dem Wissenschaftler in ihm. Dieser Widerstand und seine Überwindung werden im Folgenden genutzt um uns die letzten Schritte zur „suspension of disbelief“ (Willkürliche Aussetzung des Unglaubens) gehen zu lassen, so dass wir in der Exorzismussequenz dem Bösen schutzlos und von seiner Realität überzeugt gegenüberstehen – wie Karras selbst.

Als er dann zum ersten Mal das Zimmer Regans betritt, wird ein weiterer psychologischer Trick angewandt. Wir glauben ja mehr zu wissen als Karras, haben ja schon einiges Unerklärliche mitbekommen, fühlen uns daher in relativer Sicherheit.

Aber nur bis die Tür aufgeht.

Denn es gab einen nicht angedeuteten Zeitsprung. Wie Karras entdecken wir zu unserer Überraschung eine bis zur völligen Unkenntlichkeit entstellte Regan, die entsetzlich anzusehen und mit einer Stimme ausgestattet ist, die zwischen einer geifernden wilden Bestie und einer obszönen 50-jährigen Schnapshure schwankt. Der Schock ist erheblich. Tagelang sammelt ein zunehmend beunruhigter Karras nun wie ein Detektiv Beweise die ihn (und uns) aber auch die Kirche von der Echtheit der Besessenheit überzeugen.

Und in einer wunderschönen dramaturgischen Koda die den Bogen schließt wird nun als erfahrener Exorzist jener Father Merrin gesandt, der schon im Prolog eine bevorstehende Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse geahnt hat.

Dann, erst dann, wird der Film eigentlich, sozusagen vorübergehend, zum reinen Horrorfilm, als wir uns durch die herablassende Zuordnung zu diesem Genre nicht mehr trösten und nicht mehr schützen können. In der absolut brillanten Sequenz der Teufelsaustreibung, sie nimmt insgesamt knapp zwanzig Minuten in Anspruch, bricht dann buchstäblich die Hölle los. Es ist eine der erschreckendsten, intensivsten Szenenfolgen die je gedreht worden ist, und sie ist auch nach vierundvierzig Jahren noch hypnotisch. Sie ist extrem dicht geschnitten, fast atemlos gefilmt und sensationell ausgeleuchtet, die darstellerische Energie zwischen Max Von Sydow, Jason Miller, Linda Blair und Mercedes McCambridge (Stimme des Dämons), die alle herausragend spielen, ist so hoch, dass die Luft zum Schneiden ist, und vom bloßen Hinsehen der Atem stockt. Die wohldosierten Spezialeffekte erreichen ihren Höhepunkt und sind mit absoluter Perfektion an eben jene Stellen gesetzt an denen sie ein Maximum an Wirkung, an Druck ausüben. Es ist fast ein transzendentes Stück Film. In dieser Sequenz, eine Drehbuchqualität, finden auch alle losen Fäden des Films zueinander: Karras Trauma wegen seiner Mutter, Merrins im Prolog angedeutete Herzkrankheit, die Todesangst der Mutter um ihre Tochter und die bereits im Prolog eingeführte steinerne Fratze Pazuzus. Auch wenn seither wahre Legionen von Exorzismusfilmen gedreht worden sind – diese Sequenz wurde bis heute niemals übertroffen.
Besser kann man das nicht machen.

Und ich werde den Teufel tun, an dieser Stelle zu spoilern wie das ausgeht.




Dieser ganze Handlungsverlauf zielt in seiner Anlage nahezu unterunterbrochen auf menschliche Urängste, Gesellschaftliche wie Private, ab: Die Angst von Eltern vor der Pubertät der Kinder und der damit einhergehenden Entfremdung, die tief verwurzelte Angst vor dem Verlust geliebter Menschen, die Angst vor dem Unbekannten das uns fremd ist, die Angst vor unserer persönlichen Schuld; die Angst, dass hinter unserer aufgeklärten, vernunftorientierten Welt (lassen Sie den Satz nicht Erdogan lesen) eine andere, dunkle, dionysische Welt verborgen liegen könnte – dieselbe Angst die heute Verschwörungstheorien im Dutzend hervorbringt. Infam, im positiven Sinn des Wortes, ist bei Der Exorzist, dass er uns durch seine massive okkulte Thematik zugleich übersensibilisiert und ablenkt, während er diese abstrakten Urängste mit Macht von hinten packt, wie ein Angreifer den wir gar nicht erst kommen sehen, gegen den wir uns nicht wappnen können. 
Regisseur Friedkin und Autor Blatty spielen auf diesem Instrumentarium der Ängste wie ein Virtuose auf einem Cembalo.
Und große Musik hat ihre Wirkung schließlich noch nie verfehlt.

Diese drei Ebenen leistet der Film ganz alleine, und sie verleihen Der Exorzist noch heute, jedenfalls in den Augen des aufgeschlossenen qualifizierten Zuschauers, eine ungeheure Gewalt. Es gab jedoch noch einen vierten Faktor, für den der Film selbst nicht mehr ursächlich verantwortlich war, der die extremen Publikumsreaktionen mit auslöste. Dieser Außeneinfluss war der Hype selbst. Eine Hype der zum Selbstläufer wurde, ein Hype der, bei einem Film der im Zentrum einer fundamentalen gesellschaftlichen Umwälzung entstand und diese sozusagen subkutan spiegelte, praktisch entstehen musste.

Stephen King beschreibt diesen Hype in "Danse Macabre- die Kunst des Horrors in Literatur und Film" in einem Rückblick aus der Warte des Jahres 1978 in schillernden Farben:

„Es war mehr als ein Generationenkonflikt. Die beiden Generationen schienen sich, wie der San-Andreas-Graben, auf zwei einander entgegengesetzten Erdschichten von sozialem und kulturellem Gewissen, von Überzeugungen und Definitionen zivilisierten Verhaltens selbst zu bewegen. Das Resultat war weniger ein Erdbeben als vielmehr ein Zeitbeben. Und in diesem Jung-gegen-Alt-Wahnsinn erschien Friedkins Der Exorzist und wurde an sich ein soziales Phänomen. In jeder größeren Stadt, wo er im Kino lief, bildeten sich Schlangen um ganze Häuserblocks, und sogar in Städten, wo normalerweise pünktlich um neunzehn Uhr dreißig die Bordsteine  hochgerollt werden, wurden Mitternachtsvorstellungen angesetzt. Kirchengruppen liefen Sturm; Soziologen mit Pfeifen kommentierten; Nachrichtensendungen brachten an ereignislosen  Abenden Ausschnitte.“



Die ganz konkrete Folge des Hypes bestand darin, dass der Film Eventcharakter bekam und sich der Kinobesuch entsprechend auflud. Man fuhr meilenweit zum nächsten Kino um ihn zu sehen, stand dann fünf bis sechs Stunden oder gar noch länger in der Schlange und wartete, teils bei Eiseskälte und in strömendem Regen. Das schlauchte und schwächte den Körper und innerlich wurde man sukzessive immer nervöser und aufgeregter (bekanntlich ist nichts schrecklicher als das tatenlose Warten auf etwas Unangenehmes). Der Angstpegel stieg nicht nur stündlich wie Hochwasser, sondern die Ängste schaukelten sich in der Gruppe der Wartenden auch noch exponentiell hoch. 

Viele Zuschauer waren schon mit ihren leiblichen und geistigen Kräften am Ende, als sie den Kinosaal überhaupt erst betraten. Natürlich hätte alles das nichts genutzt, wenn man den hochsensibilisierten, teils bereits leicht hysterischen Besuchern dann Schwarzwaldmädel gezeigt hätte. Aber der Film den sie dann mit ungläubigem Staunen zu sehen bekamen war künstlerisch so stark und technisch so brillant, war so verstörend, dass er dem Hype auf allen drei Ebenen standhielt.

Diejenigen die den Film durchhielten kamen sich wie Veteranen vor, die eine Schlacht überstanden hatten und infizierten damit gleich die nächste Zuschauergeberation.

Die, die nicht durchhielten, versuchten es überwiegend erneut, bei weiteren Kinobesuchen, die dann noch extremer aufgeladen waren.

Einen solchen Hype zu brechen ist unmöglich.

Wenn der Film standhält.

Die Wirkung von „Der Exorzist“ auf ein Publikum, das auf einen Film dieses Kalibers nicht annähernd vorbereitet war, war ebenso ungeheuerlich, wie die ursprüngliche Ablehnung durch die Kritik und seine geheimnisumwitterte Entstehungsgeschichte.


Laaaaaaaange Schlange.

William Peter Blatty
Alles begann schon in den späten vierziger Jahren, als Autor William Peter Blatty an der Georgetown University, die später in „Der Exorzist“ eine wichtige Rolle spielen wird, sein Studium in Englischer Literatur schon beinah beendet hatte. Der Sohn Libanesischer Einwanderer, die auf einem Viehfrachter in die USA gekommen waren, und der immer ein wenig aussah wie ein Schurke aus einer frühen Enid Blyton Verfilmung, stieß nämlich auf eine Zeitungsnotiz über den Fall „Roland Doe“ auch manchmal bezeichnet als „Robbie Mannheim“ (beides sind geänderte Namen). Es handelte sich um den Bericht über die angebliche dämonische Besessenheit eines 14-jährigen Jungen der aus Maryland stammte, und über die an ihm vorgenommenen Exorzismen, die ihm geholfen haben sollen. Eine der Austreibungen fand im Hospital der Georgetown University statt. Ein großer Teil der berichteten Umstände dürfte ein urbaner Mythos sein, den Fall selbst jedoch gab es tatsächlich, und es wurden auch Exorzismen nach dem Rituale Romanum vorgenommen. Der Fall „Doe“ geriet überhaupt nur an die Öffentlichkeit weil der offenbar publicitysüchtige Pfarrer der Familie nicht den Schnabel halten konnte. So gelangte die Story von einem der Wenigen durch die Kirche bestätigten Besessenheitsfälle an die Presse. Da „Doe“ später ein normales Leben führte, heiratete und Kinder hatte, wurde der Klarname sinnvollerweise nie bekanntgegeben. Ob „Doe“ an tatsächlicher Besessenheit litt, oder nur an einer psychischen oder seelischen Erkrankung ist nicht mehr verifizierbar. Wichtig ist, dass Blatty über den Fall in der renommierten Washington Post las, und ihn nie vergaß.

William Peter Blatty, Linda "Regan" Blair und Father William O'Malley
 (c) by gettyimages
Blatty wurde Ende der 50iger Jahre Drehbuchautor, Spezialgebiet Komödie, unter anderem für die Filme „Eine zu viel im Harem (1964)“, den Julie Andrews Klassiker „Darling Lili (1970)“, oder auch den Charlton-Heston-Thriller „Der Omega Mann (1971). Auch das Skript zum zweiten Teil der Original-Reihe um den rosaroten Panther „Ein Schuss im Dunkeln (1964)“ stammte aus einer Feder. Immer hatte Blatty den Gedanken im Hinterkopf eines Tages einen Stoff zum Thema Exorzismus zu schreiben, vermutlich – so der Gedanke noch in den 60igern – mit Komödienspezialist Blake Edwards („Der rosarote Panther“, „Frühstück bei Tiffany“) auf dem Regiestuhl, der bereits früh mit dem Alkoholikerdrama „Die Tage des Weines und der Rosen“ auch Talent für ernste Stoffe bewiesen hatte. 

Die Erstauflage von "Der Exorzist" mit Autogramm des Autors

Ende der 60iger, Anfang der 70iger Jahre wurde Blatty dann zum zweiten Mal geschieden, wurde vorübergehend arbeitslos und beschloss seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Er zog sich zurück, in ein kleines Strandhaus das der Schauspielerin Angela Lansbury („Mord ist ihr Hobby“) gehört hatte und wo er kostenlos (und in geografischer Nähe zu seinen Kindern) wohnen konnte und begann einen Roman zu schreiben. Lose inspiriert vom Fall „Roland Doe“ – der ihm all die Jahre nie aus dem Kopf gegangen war - entstand, nach monatelangen Recherchen zu allen theologischen und medizinischen Aspekten der Besessenheit, die fiktive Geschichte „Der Exorzist“. Die Arbeit an diesem Roman war für den tiefreligiösen Blatty eine Auseinandersetzung mit der eigenen Spiritualität und seinem Glauben, die ihn als Person veränderte. 

Die dichte, nüchterne, fast sachbuchartige Erzählung über Schauspielerin Chris MacNeil ( die Figur war inspiriert von Balttys Freundin Shirley MacLaine), deren 12-jährige Tochter Regan von einem Dämon besessen wird, und deren einzige Hoffnung letztlich der Exorzismus durch ausgerechnet den an seinem Glauben (ver-)zweifelnden Jesuitenpriester Karras ist, erschien 1971.
Kurz darauf schoss sie auf Platz 1 der Bestenliste der New York Times.
Und blieb dort 55 Wochen lang.
Sie wurde zum Weltbestseller.


Bill Friedkin (Mitte), Owen Roizman (rechts) am Set
Über Blattys Freundin Tipi Hedren (war in Die Vögel und Marnie Hitchcocks Hauptdarstellerin. Und Lustobjekt) geriet das Buch an deren Mann, den Literaturagenten Noel Marshall.

Kein Wunder, dass die Filmrechte bald von Warner Brothers gekauft wurden.

Kein Wunder, dass der filmerfahrene Blatty nicht nur das Drehbuch schreiben, sondern auch selbst als Produzent fungieren durfte.
Das Studio Warner Brothers trat an verschiedene brillante Regisseure heran: Mike Nichols („Die Reifeprüfung“, „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“), Stanley Kubrick und Arthur Penn („Licht im Dunkel“, „Bonnie und Clyde“)– die alle ablehnten. Schließlich schlug Warner den eher konventionell inszenierenden Mark Rydell („Am goldenen See“ 1981) vor – aber William Peter Blatty hatte als Produzent ein Wörtchen mitzureden.

Und er hatte die ganze Zeit schon jemand völlig anderen im Auge. 1971 hatte Blatty nämlich „The French Connection“ (Brennpunkt Brooklyn) mit Gene Hackman gesehen, für den William Friedkin den Oscar für die Beste Regie gewann. Friedkin gehörte zu jener bahnbrechenden neuen Bewegung der „New Era“ manchmal auch „New Hollywood“ genannt, einer Strömung die ab Ende der 60iger bis Anfang der 80iger Jahre einen künstlerisch hochambitionierten amerikanischen Autorenfilm etablierte, und einen neuen Begriff des Regisseurs als auteur im Sinne des europäischen arthouse Kinos gleich mit. Regisseure die diese Strömung prägten waren Mike Nichols, John Schlesinger, Alan J. Pakula, Francis Ford Coppola, Woody Allen, John Boorman und neben vielen anderen mehr auch und vielleicht am radikalsten, William Friedkin. Der fünffach oscargekrönte Polizeifilmklassiker „The French Connection“ zeigte die Arbeit von Drogenfahndern mit zuvor nie gekanntem Realismus, warf seinen Blick in die dunkelsten, abgründigsten Ecken, bediente sich Mitteln die bis dato dem Dokumentarfilm vorbehalten waren, und traute sich mit der Figur des Popeye Doyle erstmals einen Cop zu zeigen, der sich von den Kriminellen, die er jagte, kaum noch unterschied. Nicht mehr als er einem flüchtenden Verdächtigen aus Rachedurst in den Rücken schoss. Blatty sah die Arbeit eines Regisseurs vor sich, der nicht nur das Handwerk des Filmemachens virtuos beherrschte, sondern auch selbstmörderisch hohe Risiken in der Umsetzung seiner Vision einging.

Seit diesem Kinoabend wusste Blatty, dass der perfekte Regisseur für „Der Exorzist“ niemand anderes als Billy Friedkin war. Er wusste allerdings nicht, wie sehr er noch bedauern würde, damit Recht gehabt zu haben….. 


Wer war dieser „Billy“ Friedkin?

William Friedkin begann seine Karriere in der Poststelle eines Fernsehsenders in Chicago, stieg aber schon zwei Jahre später zum Selfmade-Regisseur auf. Als Autodidakt von fast Tarantinoschen Ausmaßen, der sich ab 1960 anhand des Studiums legendärer Klassiker, besonders Citizen Kane, Die Teuflischen, Lohn der Angst und Psycho aber auch Werken der Novelle Vague und des italienischen Neorealismus‘ alles selbst beibrachte, leitete er Produktionen des damaligen Live- Fernsehens und war schon früh als Dokumentarfilmer aktiv.  Daher auch der extrem starke Einfluss des europäischen Films und der Dokumentarkunst des Direct Cinema a la D.A. Pennebaker und Frederick Wiseman in seinem späteren Schaffen. Friedkins 1962er Dokumentation über einen zum Tode Verurteilten The People Vs. Paul Crump brachte ihm einen Emmy und Crump die Umwandlung seiner Todesstrafe zu lebenslanger Haft ein. Nach dem er einige Folgen der Anthologie-Serie Alfred Hitchcock zeigt und eine avantgardistische Verfilmung von Harold Pinters Die Geburtstagfeier fürs Fernsehen inszeniert hatte, verdient er sich im gerade in den letzten Zügen liegenden Studiosystem Hollywoods erste Sporen mit der Satire Die Nacht als Minsky aufflog (1968) , bevor er mit The French Connection, einem Independentfilm nach dem Bericht eines echten Drogenfahnders nicht nur den großen Durchbruch feierte, sondern auch einen unübersehbaren Akzent eines anspruchsvollen, neuen amerikanischen arthouse Kinos mit eindeutiger künstlerischer Handschrift setzte.
The French Connection gewann Oscars für den Besten Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch, Bester Hauptdarsteller (Gene Hackman, der ebenfalls den Durchbruch feierte) und den Besten Schnitt.

Danach folgte 1973 Der Exorzist, 1977 Atemlos vor Angst (eine wenig geglückte Neuverfilmung von Lohn der Angst), 1980 der verstörende Film Cruising über eine Mordserie im Lederschwulen –Milieu von San Francisco, der eine noch verstörendere Querverbindung zu Der Exorzist hat. (Doch dazu später mehr…..)
Höhepunkte waren weiterhin 1985 der ambitionierte Actionthriller Leben und Sterben in L.A. mit Willem Dafoe und William L. Petersen, und der allerdings außerordentlich fragwürdige, lange Zeit verschollene Rampage-Anklage Massenmord (1987), ein hochspannendes aber extrem manipulatives und unverzeihliches Plädoyer für die Todesstrafe. Danach aber nicht deswegen brach Friedkins Karriere ein. Auslöser war, neben Friedkins Ruf als schwierigem Regisseur und Leuteschinder, seine vertragliche Bindung an eine Produktionsgesellschaft die Pleite ging, wodurch er für verschiedene Projekte blockiert war und andere Arbeiten im Giftschrank verschwanden und nicht mehr in den Verleih gebracht werden konnten.

Mit der gelungenen 1997er TV-Neuverfilmung von Die 12 Geschworenen und zuletzt 2011 mit der Theaterverfilmung Killer Joe erlebte er eine kleine Renaissance, zog sich aber altersbedingt in den letzten Jahren zunehmend vom Regiestuhl zurück.

Ein Blick ins Drehbuch: Der Regisseur und Hauptdarstellerin Ellen Burstyn
(Chris MacNeil)
1972 als William Peter Blatty ihn für die Regie von Der Exorzist anfragte und ihm den Roman zur Ansicht zuschickte, war William Friedkin auf der absoluten Höhe seiner Kunst. Und seiner Radikalität. Der Roman ging per Post an einem Nachmittag ein. Am fraglichen Tag hatte Friedkin noch einen Pressetermin für The French Connection und war zu einem Abendessen eingeladen.

Er schlug den Roman auf, begann zu lesen bei „Prolog: Nördlicher Irak“ und klappte das Buch anderntags gegen 4:30 Uhr bei „Ende“ wieder zu.


Er hatte beide Termine komplett vergessen.
Natürlich sagte er zu.
Wenige Wochen später präsentierte Blatty dem von ihm engagierten Regisseur einen ersten Drehbuchentwurf, nicht ohne Stolz. „Ich hab da was für dich“. Friedkin las den Entwurf – und war entsetzt. Seiner Ansicht nach hatte Blatty die Intensität und Radikalität seines Romans geopfert um den Stoff zu entschärfen und massentauglicher zu machen. Friedkin bewies Haltung und wies das Drehbuch des eigenen Produzenten schroff zurück. Er insistierte Blatty solle nochmals „from scratch“ , also von null anfangen und diesmal so nah wie irgend möglich an der Vorlage bleiben. Blatty schluckte die Kröte und schrieb einen ganz neuen Entwurf, der dem Buch so direkt wie nur denkbar entsprach. William Friedkin fand diese Fassung „brillant“.

Für diese Fassung erhielt William Peter Blatty 1974 den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch.

Schon die Vorbereitungen zum Film waren schwierig.

William Friedkin engagierte – wie schon für The French Connection den Bildermagier Owen Roizman, der zum bedeutendsten Kameramann der „New Era“ und ihrer Schlüsselwerke werden sollte (Er war für heutige Klassiker wie Woody Allens Machs nochmal Sam (1972), das brillante Original von Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123 (1974), Die Frauen von Stepford (1974), Die drei Tage des Condor (1975), Network (1976) und Tootsie (1982) verantwortlich ). Er engagierte auch weitgehend dasselbe Tonteam.

Da man sich im Klaren war, dass Der Exorzist auch in der Tricktechnik völlig neue Wege würde beschreiten müssen, holte man sich mit Marc Vercoutere und Marc Ystrom zwei der besten Special Effects Designer Amerikas, und mit Dick Smith (Little Big Man, Der Pate 1 und 2, Taxi Driver, Aamdeus) und Rick Baker (American Werewolf, King Kong (1976), Das Imperium schlägt zurück, Greystoke (1984) und Ed Wood u.v.a) die beiden damals besten Make-Up-Effekt Spezialisten der Welt, die auch heute noch als absolute Koryphäen gelten.


Linda Blairs Karriere wurde leicht überschattet von "Der Exorzist" wie der Titel
dieser Doku zeigt,
Viel schwieriger gestaltete sich die Besetzung des Darsteller-Ensembles, insbesondere der absolut zentralen Rolle der Regan MacNeil. Einer Figur übrigens, die nicht zufällig den schottischen Namen Regan trägt, nach einer der Töchter König Lears. 

Weit über 150 Mädchen sprachen 1972 für die Rolle vor, darunter Jamie Lee Curtis (Die Mutter, Starschauspielerin Janet Leigh war dagegen), die spätere Prinzessin Leia, Carrie Fisher (mit ihrer Mutter Debbie Reynolds als Chris MacNeil), Denise Nickerson, Laura Dern, Brooke Shields, Kim Basinger, Melanie Griffith (Die Tochter von Tipi Hedren), Sitcom-Star Dana Plato (Mutter war dagegen), Sharon Stone und Disney-Star Pamela Ferdyn. Keine dieser damaligen Teenagerinnen überzeugte den Regisseur.

Linda Blair wurde von ihrer eigenen Agentur, die über 30 Darstellerinnen für die Rolle empfahl vergessen. Es war ihre Mutter die mit ihr privat zum Vorsprechen fuhr. William Friedkin war elektrisiert – nicht nur war Blair begabt, unverbraucht, natürlich und hochintelligent, nicht nur schien sie geerdet genug um durch den heftigen Stoff nicht Schaden zu nehmen; sie strahlte zudem auch eine zerbrechliche, verletzliche Unschuld aus. Den letzten Ausschlag gab ihre rotzfreche Haltung im Gespräch. Billy Friedkin erinnert sich wörtlich an folgenden Dialog:

William Friedkin: Weißt du worum es in "Der Exorzist" geht?
Linda Blair:         Jaaa..... Da ist dieses Mädchen,und es ist vom Teufel besessen, und sie tut schlimme 
                             Dinge...
William Friedkin: Was für Dinge sind das?
Linda Blair:         Sie beleidigt Leute, sie flucht, sie schlägt ihre Mutter, sie masturbiert mit einem 
                             Kruzifix - 
William Friedkin:  Weißt du, was das ist - masturbieren?
Linda Blair:          Das ist doch wie wenn man sich einen runterholt?
William Friedkin:  Ja, richtig. Hast du das schon mal gemaht?
Linda Blair:          Natürlich. Sie nicht?



Der Schlingel (oder muss man sagen „Schlingelin“?) hatte die Rolle.

Für die Rolle der Mutter hatte das Studio ursprünglich entweder Shirley MacLaine, Jane Fonda (sie lehnte den Film von vornherein als „a piece of capitalist rip-off bullshit“ ab), Geraldine Page, Barbra Streisand (lehnte ab), Anne Bancroft , Lee Remick, Carol Burnett und sogar Raquel Welch vorgeschlagen.  Audrey Hepburn war im Gespräch, und hatte – was für ihren künstlerischen Mut spricht – echtes Interesse. Da ihr Lebensmittelpunkt zu jener Zeit aber in Rom lag, war die Distanz dann doch zu groß.
William Friedkin wollte keinen der bekannten Namen.

Ellen Burstyn, William Friedkin
Und dann kam dieser Anruf von Method Schauspielerin Ellen Burstyn,  den Meisten heute durch ihre grandiose Altersrolle als Sara Goldfarb in Requiem For A Dream bekannt, die unter Lee Strasberg am Actors Studio studiert hatte, und sich ohne Umschweife persönlich um die Rolle bewarb. Friedkin traf sich mit ihr. 
Burstyn hatte bereits seit 1958 TV-Erfahrung, Bühnenerfahrung und für Peter Bogdanovichs Independentfilm Die letzte Vorstellung 1971 eine Oscarnominierung als Beste Nebendarstellerin erhalten. 
Sie war genau im richtigen Alter.

Sie war unverbraucht, und hochsensibel. Sie bekam die Rolle.                                                              

Der große Max Von Sydow als Merrin
Die Figur des titelgebenden „Exorzisten“, Father Merrin, der nur am Anfang und während der klimaktischen Exorzismussequenz zu sehen ist, schlug das Studio Marlon Brando vor, der gerade mit Der Pate ein völlig unerwartetes Comeback gefeiert hatte. William Friedkin allerdings wollte hier einen unverbrauchten Spitzenschauspieler der nicht gleich mit seinen Allüren den ganzen Film an sich reißen würde und charakterlich noch schwieriger war als er selbst schon. Er wollte von Anfang an den großen schwedischen Darsteller Max Von Sydow, den Lieblingsschauspieler Ingmar Bergmans. Es war Von Sydow der 1957 in Bergmans „Das siebte Siegel“ den Ritter spielte, der, aus dem 30-jährigen Krieg heimgekehrt, im Angesicht der Pest mit dem personifizierten Tod um das Schicksal der Menschheit Schach spielt. Er brillierte auch in Wilde Erdbeeren, Die Jungfrauenquelle und Wie in einem Spiegel. Seit den 60iger Jahren hatte Von Sydow dann auch eine internationale Karriere, als Jesus Christus im unrettbaren Die größte Geschichte aller Zeiten (1965) und – umwerfend – als eifernder Missionar mit Läuterung im Historienepos Hawaii (1966). Mühelos wechselte er zwischen Avantgardefilmen und großen Unterhaltungsstreifen, und spielte sich für jede seiner Rollen die Seele wund. Heutigen, jüngeren Zuschauern dürfte er eher als Psychiater Bukanowsky im brillanten TV-Film Citizen X (1995) und als Three-Eyed Raven ab Staffel 6 von Game Of Thrones bekannt sein. In den 70iger Jahren galt Max von Sydow als einer der besten Schauspieler der Welt. Eine Einschätzung an der bis heute nichts zu revidieren ist. 

Max Von Sydow wie er damals wirklich aussah, Linda Blair und
Ellen Burstyn (als Piratin?)
Seine Besetzung als Lankester Merrin war ein absoluter Glückstreffer für Der Exorzist. Und seine schauspielerische Leistung war viel größer als die meisten Zuschauer auch nur ahnten, denn ihr wohnt ein Geheimnis inne: Von Sydow lieferte nicht nur ein grandios zurückhaltendes Charakterporträt von unermesslicher Würde; nein, ihm gelang, unbemerkt vom Publikum, noch sehr viel mehr.

Er spielte zwar den 77-jährigen Father Merrin, war selbst jedoch 1973 erst 44 Jahre alt! Er trug in Wirklichkeit rötlich-blondes Haar und einen maskulinen Vollbart. Der Rest ist sensationelles Make-Up (man achte auf die Hände!) und große Schauspielkunst. Max Von Sydow war so extrem überzeugend, dass er sich selbst um eine wohlverdiente Oscarnominierung brachte. Die US-Branche die den scheuen, bescheidenen Schweden teilweise noch nicht kannte, nahm einfach an, er sei tatsächlich ein Greis. Er war einfach zu gut.


Für die Rolle des jungen Father Karras der tief in die (Glaubens-) Krise stürzt waren Al Pacino, Roy Scheider oder Gene Hackman ernsthaft im Gespräch. Stacy Keach war sogar schon unter Vertrag als William Friedkin, wie es der Zufall wollte, eine Theaterproduktion am New Yorker Broadway sah. Das Stück hieß That Championship Season (Die Mannschaft) , hatte gerade den Pulitzerpreis für das Beste Drama erhalten, 5 Drama Desk Awards, sowie den Tony Award für das Beste Stück des Jahres. Der Autor war ein gewisser Jason Miller. Friedkin war von der Aufführung tief berührt, und geriet an der Theater-Bar mit dem Autor ins Gespräch. Plötzlich setzten sich in Friedkins Kopf die Puzzleteile zusammen. Miller war ein gut gebauter, kräftiger, schwarzhaariger Mann mit großer Energie; er war intellektuell brillant, hatte ein abgebrochenes Theologiestudium aufzuweisen, ebenso einen nicht vollzogenen Eintritt in den Jesuitenorden. Ihn umgab eine gewisse natürliche Traurigkeit. Dem Regisseur fiel es wie Schuppen von den Augen: Ihm stand niemand anderes als der fleischgewordene Damien Karras gegenüber.

Da William Friedkin, ähnlich wie Robert Bresson und andere europäische Kunstfilmer, die Vorliebe hatte mit nicht ausgebildeten Darstellern zu arbeiten, mit Amateuren, kaufte er Stacy Keach aus dessen Vertrag und engagierte den völlig unerfahrenen Schriftsteller Jason Miller als Karras.


Father William O'Malley (links), Father Bermingham (rechts)

Sein Faible für Laien führte Friedkin dann auch dazu die kleine Rolle des Father Dyer mit dem echten Jesuiten Father William O’Malley zu besetzen, und die noch kleinere Rolle von Karras väterlichem Mentor mit dem echten Father Thomas Bermingham – ebenfalls Jesuit.

Lee J. Cobb, Jason Miller & Bill Friedkin beim Dreh an der
Georgetown University
Die Rolle des stark an Columbo erinnernden Polizeiermittlers und Filmfans Lieutenant Kinderman wurde dafür mit einem absoluten schauspielerischen Schwergewicht besetzt, einem weiteren Glücksfall: Lee J. Cobb. Der damals 61-jährige Theater- und Filmschauspieler galt spätestens seit seiner bahnbrechenden Darstellung des Willy Loman in der 1949er Welturaufführung von Der Tod eines Handlungsreisenden als absolute Urgewalt auf der Bühne. Er arbeitete mit dem großen Elia Kazan in dem revolutionären 1953er Sozialdrama Die Faust im Nacken, das achtfach oscargekrönt wurde, und brillierte als Henry Fondas Gegenspieler, Geschworener Nummer 3, in Sidney Lumets Meistwerk Die zwölf Geschworenen (1957) – ein Stoff den ironischerweise ausgerechnet William Friedkin neu verfilmen sollte. Er brillierte, oscarnominiert, als Fyodor Karamasov in Richard Brooks Verfilmung von Die Brüder Karamasov (1958) und als Barak Ben Canaan in Otto Premingers Epos Exodus (1961) über die Gründung des Staates Israel. Als er 1976 starb hatte Cobb in 102 Filmen mitgewirkt und galt als einer der besten US-Schauspieler seiner Generation, und dies trotz seiner Anbiederung an die Kommunistenjäger während der McCarthy Ära. Die sympathisch – verschmitzte Darstellung des Lt. William Kinderman hinter dessen Witz ein großer Ernst lauert, zeigte ihn von einer ganz neuen, feinsinnigen Seite.

Wer diese Besetzungsliste liest, dem wird klar, dass William Peter Blatty und William Friedkin kein billiges Spektakel, keinen Schundstreifen, keine filmische Geisterbahn planten sondern einen künstlerisch hochambitionierten A-Film, weitab vom damaligen Mainstream. Noch deutlicher wird dies, wenn man sich bewusst macht, welch ungeheure Mühe man sich mit den kleineren Rollen gab.


Über 200 Schauspielerinnen ließ Friedkin für die kleine Rolle von Chris MacNeils persönlicher Assistentin Sharon vorsprechen, und besetzte nicht etwa ein Starlet, sondern die exzellente Schauspielerin Kitty Winn, die 1971 in Jerry Schatzbergs Independentfilm The Panic In Needle Park neben dem noch unbekannten Al Pacino die Hauptrolle gespielt hatte – einen innerlich zerrissenen Junkie.









Jack McGowran als Burke Dennings in "Der Exorzist" (1973) und als Professor Abronsius in "Tanz der Vampire" (1967)

Für die im Film winzige Rolle des ordinären, bösartigen, alkoholkranken Filmregisseurs Burke Dennings, dessen Aufgabe darin besteht unangenehm aufzufallen und dann spektakulär OFFSCREEN zu sterben, holte man eigens den großen Jack McGowran aus Irland. Der glänzende Charakterdarsteller mag dem breiten Publikum eher als vertrottelter Professor Abronsius in Roman Polanskis Tanz der Vampire (1967) bekannt sein, in Irland und Großbritannien kannte man ihn auch als bedeutenden Theaterschauspieler der besonders durch seine Arbeit mit Samuel Beckett (u.a. als Lucky in Warten auf Godot) und seine brillanten Interpretationen in Stücken von Sean O’Casey für Aufsehen sorgte. McGowrans radikales und experimentelles Arbeiten machte ihn für William Friedkin interessant. 

Gern hätt' er die Fraun geküsst: Rudolf Schündler als Dr. Knörz
im Paukerfilm
Selbst die winzige Rolle des Hausangestellten Karl hält, besonders für deutschsprachige Zuschauer, ein Super-Schmankerl bereit. Der Schauspieler der hier zu sehen und in der Original – Synchro auch zu hören ist, ist nämlich in unseren Breiten sehr bekannt. Das heißt, er war es jedenfalls. Es handelt sich um den Theater- und Filmschauspieler, auch Filmregisseur, Rudolf Schündler. Schündler dessen Karriere 66 Jahre umspannt und dessen Filmografie über 230 Einträge als Darsteller aufweist, sowie weitere 24 als Regisseur, ist einem breiten Publikum wohl in erster Linie durch die grauenvoll schlechten Pennäler-Filme der „Lümmel von der ersten Bank“ – Reihe in den Spätsechzigern und Frühsiebzigern , mit Hansi Kraus als Paukerschreck Pepe, in Erinnerung. Dort spielte er den Lateinlehrer Oberstudienrat Knörz, oft auch als „Knörzerich“ verspottet. Ähnlich wie der große Theo Lingen (er spielte Schulleiter Taft) versuchte auch er in diesen Filmen, trotz totaler Entblödung, seine Würde zu wahren, und die Aufgabe wenigstens mit 1a Handwerk zu veredeln. Ihn hier als Karl zu sehen ist zugegebenermaßen irgendwie surreal. Aber angenehm surreal.



Mitte 1972 begannen die Dreharbeiten on Location in Georgetown, Washington D.C. und auf der realen archäologischen Ausgrabungsstätte des biblischen Ninive und der Altstadt von Mossul im Nordirak. 


Friedkin inszeniert eine Szene mit Dr. Klein
340 Tage dauerte dieser denkwürdige Dreh (14.August 1972 bis 20. Juli 1973) und damit außerordentlich lange, sehr viel länger sogar als veranschlagt. Hauptursache war der extreme Perfektionismus des Regisseurs, der jede Einstellung erbarmungslos dutzende Male wiederholen ließ, bis sie ihm wahrhaftig genug erschien. Dieses Vorgehen belastete die Schauspieler extrem, alle sprachen später von einer enorm schwierigen und belastenden Drehzeit. Zum Harmlosesten gehört dabei noch, dass die Darsteller immer wieder zu spontanen Reaktionen und auch Improvisationen genötigt wurden. Zum Beispiel: In der Szene in der der Spezialklinik als Chris MacNeil der Ärztekonferenz beiwohnt, stand der Ausbruch, den Burstyn spielte, nicht im Drehbuch. Laut Skript hätte sie nur still weinend den Kopf senken sollen, aber Friedkin trieb sie an, immer weiter, bis sie aus dem Nichts improvisierte „Es tut ihnen leid? Jesus Christus! Achtundachtzig Ärzte und alles was sie mit ihrem Scheißdreck sagen können, ist, ist -“ Dann ging ihr die Kraft aus und die Tränen flossen, und erst jetzt war der Regisseur zufrieden. Das könnte man zwar guten Gewissens noch unter kreativem Inszenieren abhaken.

Friedkins Schauspielerführung war aber zum Teil de facto übergriffig.

Anstrengender Dreh: Bill Friedkin belabert den völlig fertigen Jason
Miller
Als Jason Miller auf ein klingelndes Telefon nicht erschreckt genug reagierte, ordnete Friedkin einen weiteren Take an, versteckte sich heimlich in unmittelbarer Nähe des Schauspielers, gab ein non verbales Drehsignal, zog eine Schusswaffe und schoss in die Decke. Miller erlitt fast einen Herzinfarkt. So schnell ist der noch nie herumgewirbelt. Nach dem Ende der Einstellung putzte er Friedkin wutentbrannt herunter – zu recht:

Da Friedkin so nahe stand (der akustische Sicherheitsabstand muss in aller Regel 3 Meter betragen wenn live geschossen wird) hätte der nichts ahnende Miller leicht ein geplatztes Trommelfell oder einen Hörsturz erleiden können.

Später, als die Szene gedreht wurde in der Karras der dämonisch entstellten Regan zum ersten Mal gegenübertritt, wurde Miller erneut übel mitgespielt. Das Skript und die Absprache mit der Regie sahen vor, dass die angeschnallte Regan, für diese Einstellung kurz gedoubelt von Linda Blairs Body Double Eileen Dietz, sich erbrechen und Karras von einem Strahl grünen `Erbrochenens´ (Andersons Erbensuppe) an der Brust getroffen werden sollte. Unmittelbar vor Drehbeginn ließ Friedkin aber, wiederum heimlich, den Schlauch in Dietz Mund neu justieren. Der Take wurde gestartet, Miller trat völlig ahnungslos heran, und der eiskalte Erbsenschwall traf ihn frontal ins Gesicht. Der Ausdruck des Schocks und des Ekels ist nicht gespielt, Friedkin nahm die Einstellung direkt in den fertigen Film.

Auch Father O’Malley kam mit den ungewöhnlichen Regiemethoden in Kontakt. Als die Szene gedreht wurde in der er als Father Dyer Karras die letzte Beichte abnehmen sollte, war es ihm als Nicht-Schauspieler verständlicherweise nicht möglich in die Tiefe des inneren Erlebens zu gelangen, die Darbietung war flach. Unglücklicherweise spielte ausgerechnet diese Szene auch noch im Freien. Es war schon sehr spät, gegen zwei Uhr früh, die ganze Crew fror völlig übermüdet in der eisigen Nachtluft vor sich hin, und O’Malley mühte sich Take um Take. Nach dreizehn Versuchen unterbrach William Friedkin, wies Kamera und Ton an in `Hab acht´-Stellung zu verharren und trat zum gleichfalls übermüdeten Jesuiten

„Vertraust du mir?“
„Ja“
„Du weißt, dass ich dich mag?“
„Ja“
„Gut“

Dann schlug er dem Geistlichen mit voller Wucht ins Gesicht und rief „action“. Dem völlig verdatterten und erschütterten O’Malley liefen nun wirklich die Tränen übers Gesicht und angemessen zitternd konnte er die Szene zu Ende spielen.
Er soll sich angeblich danach bedankt haben.

Textprobe mit dem Skript in der Hand.








Auch andernorts wurde den Schauspielern enorm viel abverlangt.

Man muss sich in aller Deutlichkeit bewusst machen, dass der Film 1973 gedreht wurde, zu einer Zeit da es noch keine Computertechnik im Film gab, damit auch keinerlei CGI Effekte und die Möglichkeiten visueller Nachbearbeitung auf nahezu Null beschränkt waren. Nur das Blue Screening, das seinen Durchbruch 1959 in Ben Hur erlebte, in diesem Film aber nicht eingesetzt wurde, und das manuelle Wegretuschieren von nicht beleuchteten Objekten, Bild für Bild, direkt vom Zelluloidstreifen, standen damals als optische „Nachbearbeitung“ zur Verfügung.

Alle Spezialeffekte die im fertigen Film zu sehen sind, waren mechanischer, hydraulischer und elektrischer Art, und alles was wir im fertigen Film bestaunen dürfen, musste genauso live im Studio vor der Kamera ablaufen. Die Darsteller sahen also genau das, was wir auch sehen. Diese Produktionsweise, und eine Andere gab es nicht, war in einem Film der das Übernatürliche in solcher Ernsthaftigkeit thematisiert, zum Teil extrem strapaziös.

In der Szene in der Linda Blair auf ihrem Bett wie ein Zweig im Winde regelecht von unsichtbaren Kräften hin und her gepeitscht wird, steckte die Kinderdarstellerin etwa in einem verborgenen Harnisch der von Bühnenarbeitern an nicht sichtbaren Schnüren hin und her gerissen wurde. Da die Arbeiter an den Schnüren die Darstellerin nicht sehen konnten, und die Kraftübertragung problematisch war, ließen sich die Bewegungen nicht perfekt steuern. Blair erzählt, dass einmal zu fest gezogen wurde und sie sich brutal den ganzen Rücken verrenkte. Tatsächlich war es mir möglich den Super-8- Mitschnitt der diesen Umfall zeigt aufzuspüren, er ist in dem bereits oben gezeigten Hintergrundmaterial vom Set enthalten. Man kann sehen, dass die Dreizehnjährige plötzlich Schmerzen hat, sich an den Rücken fasst und weint.
Hier kann man mehr über die Arbeit der Make-Up Künstler sehen:


Noch schlimmer erging es Ellen Burstyn.

Auch sie steckte in einem solchen verborgenen Harnisch, damit sie, in der berühmten Kruzifix-Szene, nach dem Hieb den sie von der teuflischen Tochter erhielt, gegen die Wand geschleudert werden konnte. Der Ablauf wurde natürlich vorab geprobt, aber dennoch blieb ein Sicherheitsrisiko. Als die Szene dann gedreht wurde, rissen die Arbeiter wiederum unabsichtlich viel zu fest an, so dass Burstyn unkontrolliert mit viel zu großer Wucht gegen die Wand geschmettert wurde, wobei sie brutal mit der Wirbelsäule aufkam. Ihr halb gejodelter Tarzanschrei, den Dokumentarist Friedkin ebenfalls direkt in den Film übernahm, ist also ein Ausdruck echten Schmerzes. Ellen Burstyn erlitt eine bleibende Rückenverletzung, die ihr bis heute chronische Probleme bereitet.


Warum eine so gefährliche Technik überhaupt angewendet wurde?

Weil die Tricktechnik 1973 noch in den Kinderschuhen steckte. Zu Star Wars , und damit der von George Lucas gegründeten Spezialeffektschmiede Industrial Lights And Magic, dauerte es noch vier Jahre, der erste Computereffekt in einem Film war erst 1982 in Star Trek II – Der Zorn des Khan zu sehen (und hatte mit dem was wir heute darunter verstehen noch kaum etwas zu tun), die ersten glaubwürdigen computeranimierten Kreaturen waren erst 1993 zu sehen, 20 Jahre später, in Jurassic Park. Damals aber betraten die Special Effects Designer mit jedem einzelnen Effekt völliges Neuland, sie waren nämlich in erster Linie auch noch Spezialeffektentwickler. Eine Mischung aus Bühnenzauberer, Entdecker und Wissenschaftler.

Für jeden einzelnen Effekt musste erst der dazugehörige Trick erfunden werden, der ihn möglich machte. Schrieb man 1973 in ein Drehbuch „Regan schwebt frei im Raum“ war das zunächst einmal nach damaligen Standards, auch nach dem damaligen Stand der Tricktechnik, nicht zeigbar, nicht darstellbar. Die Aufgabe war stets die Überwindung des Unmöglichen. Die Effektentwickler hatten also ein Problem und mussten in buchstäblich jedem einzelnen Fall erst noch eine Lösung dafür entwickeln, wie ein Illusionist der monatelang an einem neuen Trick feilen und tüfteln muss.


Gag der Regie: William Friedkin setzt sich in die ikonische Aufnahme
des während des Exorzismus erscheinenden Totems.
Die Herren fragten sich also in diesem Fall, wie man Linda Blair live vor laufender Kamera levitieren lassen konnte, bzw. es so aussehen lassen konnte. So überzeugend, dass der Zuschauer gezwungen war es zu glauben. Die Grundidee auf die man letztlich kam, war genialisch, dabei zwar nicht neu, wohl aber die Ausführung und die erstaunliche Qualität. Wer die entsprechende Einstellung sieht, ist selbst heute noch verblüfft wie gut das gelungen ist – man sieht nicht wie es gemacht wurde, man muss es schon nachlesen. Den Zuschauern vor 44 Jahren müssen bei dem Anblick fast die Augen aus dem Kopf gefallen sein. In der Spezialeffekttechnik setzte dieser Film einen ganz neuen Standard – selbst ich kann bei einigen der angewandten Tricks nicht ganz restlos erklären wie diese Teufelskerle (pun intended) das gedeichselt haben.
Die genialen Special Effects Designer von Der Exorzist pflügten ein Feld, das bis weit in die 80iger Jahre hinein noch abgeerntet wurde.

Davor kann und muss man Respekt haben.


Friedkin inszeniert in Winterkleidung
Man denke nur einmal an gewisse scheinbare Kleinigkeiten.

In Regans Zimmer scheint es eiskalt zu sein, man kann den Atemhauch in der Luft sehen. Auch hierbei war keinerlei Nachbearbeitung im Spiel. Das Zimmer der besessenen Kleinen (diese Worte in dieser Kombination wirken immer noch seltsam) war das einzige Set des Films, das im Studio aufgebaut wurde. Der Rest vom Exorzistenfest wurde ausschließlich an Originalschauplätzen und in realen Gebäuden gedreht. Dieses spezielle Set wurde, da es William Friedkin unheimlich wichtig war die im Roman erwähnte Grabeskälte für den Zuschauer fast körperlich spürbar zu machen, von vornherein als riesiger begehbarer Kühlschrank gebaut, der auf 30 Grad unter null heruntergekühlt werden konnte, so dass man den eisigen Atem der Darsteller sehen konnte. Die froren natürlich stark, besonders Linda Blair und Double Eileen Dietz, die ja die ganze Zeit im dünnen Nachthemd herumliegen mussten. Blair hat, eigenen Angaben zufolge, bis heute ein stark gespaltenes Verhältnis zu Kälte.

Übrigens hing dieses Set auch noch an einem hydraulischen Gerüst, wodurch es möglich war das komplette Zimmer zu bewegen, durchzuschütteln und regelrecht die Erde beben zu lassen. Eine vergleichbare Vorrichtung in anderem Maßstab wurde acht Jahre später auch in Das Boot eingesetzt. Man muss sich diese Aspekte vor Augen führen, um sich klar zu machen, was für ein Blödsinn es ist, wenn einige naivere junge Zuschauer heute argumentieren die Spezialeffekte in Der Exorzist seien „angestaubt“ und „sooo fake“ - wie um alles in der Welt kann ich das Beben eines Zimmers denn noch realer darstellen, als das Zimmer wirklich beben zu lassen?
Ein bisschen bekommt man den Eindruck, dass manche jugendliche Kinogänger vor lauter CGI Bombardement, 3D Spielereien und Animationseffekten überhaupt kein Gespür mehr dafür haben, wie bestimmte Dinge für das menschliche Auge in der realen Welt tatsächlich aussehen würden, so sie sich ereignen könnten. Computeranimationen heutigen Standards sind in der Regel wesentlich perfekter und hochaufauflösender als die Realität. 
Die Schlacht von Helms Klamm ist ein sensationeller Bilderrausch, aber keine Abbildung der Wirklichkeit.

Linda Blair wird verkabelt.
Herausragendes leisteten auch die Maskenbildner. Nicht nur mussten sie das grandiose Make-Up für die Besessene entwickeln und in der Endphase des Films jeden Tag 5-6 Stunden lang applizieren wobei zum Teil Prothesen zum Einsatz kamen, die erst speziell für Der Exorzist erfunden worden waren; nein sie mussten auch noch gewährleisten, dass man Linda Blair als Dämon nicht von ihrem Body Double unterscheiden konnte – was erstaunlich perfekt gelang (allerdings gibt es ein Unterscheidungsmerkmal: Ich sage nur Wangenknochen). Das Double war insbesondere nötig für einige Sequenzen die eine bestimmte Körperkraft verlangten, gefährlich oder extrem unangenehm waren, wie zum Beispiel die Erbrechenssequenzen (wovon es lediglich zwei gab, denn Friedkin und Blatty wussten, wann und warum sich so etwas abnutzt).

Eileen Dietz bekommt ein Mundstück "zum Kotzen"
Hierzu wurde ein falsches Mundstück angebracht, das es ermöglichte Eileen Dietz, der jungen Schauspielerin die diesen Part übernahm, einen Schlauch direkt in den Mund einzusetzen aus dem dann mit Hochdruck die Erbensuppe gepumpt werden konnte. Auf Grund der Größe der Schlauchdüse, die nicht ohne großen Aufwand und nur mit Hilfe wieder herausgenommen werden konnte, konnte die Darstellerin den Mund weder schließen noch schlucken. Da die Aufnahmen nebst Vorbereitung naturgemäß lange andauerten, war es erforderlich das Mundstück eine längere Zeit am Stück zu tragen, was qualvoll war und man Kinderdarstellerin Blair unbedingt ersparen wollte.
Auch Max von Sydow verbrachte wie Blair jeden Tag viele Stunden in der Maske, nur dass in seinem Fall auch noch die Hände geschminkt werden mussten. Für ihn wie für Blair stellte man im Schminkraum einen Fernseher auf, um die erschöpfende mehrstündige Umwandlungsprozedur etwas erträglicher zu machen. Linda Blair sah Berichten zu Folge am liebsten die 60iger Jahre Sitcom The Beverly Hillbillys.


Doubelte Linda Blair: Eileen Dietz


Sensationelle Sprecherleistung: Mercedes McCambridge
Die EINE große Möglichkeit der Nachbearbeitung die es in den Frühsiebzigern gab war der Ton bzw. Toneffektschnitt. Und davon wurde in ganz außerordentlicher Form gebraucht gemacht, besonders bei der Stimme des Dämons. Diesen sprach nämlich Linda Blair am Set zwar live (und den wenigen erhaltenen Aufnahmen nach zu urteilen, durchaus nicht schlecht), doch wurde der assyrische Dämon der Winde, Pazuzu, im englischsprachigen Original von Oscarpreisträgerin Mercedes McCambridge nachsynchronisiert, die wegen ihrer extrem dunklen Stimme ausgewählt wurde.

McCambridge die vor allem in den 50iger und 60er Jahren eine gefragte Charakterdarstellerin war, unter anderem in Johnny Guitar (1954), In einem anderen Land (1957) und Cimarron (1960) , war sowohl für den Politthriller All The King’s Men (1950) als auch für George Stevens Monumentale Seifenoper Giganten (1956) mit James Dean und Rock Hudson für den Oscar nominiert – und gewann Ersteren. Für ihre Sprech – Rolle als dämonische Wesenheit ließ sie, angestachelt auch durch Bill Friedkin, einiges über sich ergehen, zumal sie sich, buchstäblich wie eine Besessene in diese Rolle warf: Sie begann Kette zu rauchen und schluckte jeden Morgen mehrere rohe Eier um den Stimmsitz künstlich tief und die Stimme rauh zu halten. Sie begann sogar, obschon trockene Alkoholikerin, speziell für diese Rolle unter ärztlicher Aufsicht kurzzeitig wieder Whiskey zu trinken, um diesen Effekt noch zu verstärken – auch wenn dies einen zweiten Entzug nötig machte. Für die sehr lange Aufnahme-Session ließ sie sich mit Stoffbandagen mit Armen und Beinen, wie Regan im Film ans Bett, an einen Stuhl binden um gegen die Fesselung anspielen, sich körperlich herumwerfen zu können. McCambridge konnte so mehrstimmige Grunzlaute hervorbringen und sogar mit extrem gruseligen Obertonschwingungen experimentieren.

Das Ergebnis der rauschhaften Tonaufzeichnungen, an die McCambridge später jede bewusste Erinnerung verlor, und die William Friedkin als das unheimlichste Erlebnis seines Lebens beschrieb, war eine der besten Voice Over Performances der Filmgeschichte. Zusammen mit dem grandiosen Make-Up und Blairs starkem Spiel unter vollem Körpereinsatz, war der Effekt unübertrefflich intensiv.
Was in diesem Zusammenwirken entstand, war tatsächlich nicht mehr das junge Mädchen Regan, sondern eine völlig neuartige Figur, eine andersartige Wesenheit.

Eine böse Wesenheit.

Das gelang so extrem überzeugend, dass der fundamentalistische Fernsehprediger Billy Graham nicht von der Überzeugung abzubringen war und ist, im Filmnegativ von Der Exorzist hause ein realer Dämon.


William Friedkin umarmt Linda Blair. Das, oder er versucht ihr
in den Hals zu beißen.
Nach vollen 340 Tagen, in denen Bill Friedkin seine rahmensprengende visuelle und ästhetische Vision mit nahezu suizidaler Kompromisslosigkeit, ohne jede Rücksicht auf Verluste durchgesetzt hatte, waren die Hauptdreharbeiten (principal shooting) abgeschlossen, und wenn es eine zutreffende Bezeichnung für die Atmosphäre während dieser Zeit gäbe, so lautete sie:
Zum Zerreißen gespannt.

Zwischen Regisseur Friedkin und Drehbuchautor William Peter Blatty war es immer wieder zu Streitereien von großer Heftigkeit gekommen – „Bill, sie kann den Kopf nicht um 360° drehen“ „Warum?“ „Weil er abfallen würde. Der Mensch wäre tot!“ „Na und, sie ist ein Dämon“ – die die Stimmung noch zusätzlich belastet und die später wieder völlig intakte herzliche Freundschaft zwischen den Schöpfern vorübergehend völlig außer Kraft gesetzt hatten. Nach dem Dreh, und insbesondere nachdem Friedkin einige Szenen aus dem Film geschnitten hatte (die im Director’s Cut von 2000 wieder enthalten sind, als eindrucksvoller Nachweis dafür, dass Friedkin damals recht hatte) die Blatty für essentiell für den Stoff hielt, kam es zum offenen Bruch.

Die beiden wechselten monatelang kein Wort mehr.


Dennoch verteidigte Produzent Blatty seinen Regisseur gegenüber dem Studio. Er verteidigte ihn als William Friedkin seinen ersten 140 minütigen Cut vorlegte, und das Studio ihn zurückwies und massive Kürzungen einforderte. Er verteidigte ihn, als das Studio seinen ersten Trailer vehement ablehnte – nicht etwa weil dieser epileptische Anfälle auslösen könnte (was er tatsächlich kann! Achtung, wer da anfällig ist!) – sondern weil er als zu extrem und zu schreckerregend eingestuft wurde. Was wiederum irgendwie verständlich ist, wenn man das Ding heute sieht. Auf Großleinwand ist das tatsächlich eine krasse Nummer – aber der Radikalität des Films, den der Trailer repräsentiert, durchaus voll angemessen. Ach, übrigens, hier ist das Schmuckstück, hiermit aus der Versenkung geholt, in der es 1973 verschwunden war:



Man einigte sich auf einen familienfreundlicheren Trailer. Diesen Trailer:




Regie führen mit geballter Faust: William Friedkin
Und William Peter Blatty verteidigte William Friedkin, als dieser in der Sitzung in der das Filmposter festgelegt werden sollte, den Studiobossen nachgerade körperlich an die Kehle ging. Das Studio hatte bereits einen Entwurf erstellen lassen, und legte ihn stolz vor Regisseur und Autor auf den Tisch. Ein schwarzes Plakat ,auf dem die Zeichnung von Regans Kinderhand dominierte, die ein blutiges Kruzifix umklammerte. Die Tag Line (Werbespruch) lautete „Gott helfe diesem Mädchen“. Friedkin sprang auf wie von der Tarantel gestochen, riss den Entwurf wutentbrannt in Fetzen und warf diese nach den Studiobossen. Er schrie „Seid ihr völlig wahnsinnig? Ihr könnt doch nicht Gott zum Werbeträger machen!“ Eine Zeile, deren inhärente ethische Haltung ein ganz anderes Gewicht entfaltet, wenn sie, wie hier aus dem Mund eines Atheisten kommt. Friedkin und Blatty argumentierten dass es außerdem unüberbietbar ungeschickt sei, den heftigsten Schock zum zentralen Motiv des Posters zu machen, damit den Zuschauer vorzubereiten und die Filmstelle dadurch komplett zu entwerten. Der Regisseur schlug stattdessen vor, jene bildstarke Einstellung als Vorlage zu nutzen, die die Silhouette des Exorzisten wartend vor dem Haus zeigt, die Stelle, die von Magritte inspiriert war.

Außerdem wurde als Tag Line vorgeschlagen die ersten Sätze des Trailers zu zitieren:

„Etwas an der Grenze des Vorstellbaren geschieht einem Mädchen in dieser Straße, in diesem Haus….und als letzte Hoffnung wurde nach einem Mann geschickt. Dieser Mann ist der Exorzist“

Die Studiochefs waren nicht überzeugt. 
"Glauben sie mir“ so Friedkin „Das wird einmal ikonisch“
Er sollte Recht behalten.                                                                                                    


Gipfel der Aufmerksamkeit: Der Exorzist auf dem Titelcover des
SPIEGEL in Deutschland
Natürlich muss man im Hinterkopf behalten, dass auch das produzierende Studio mit diesem neuartigen Glaubensdrama des Schreckens absolutes, finanziell und reputationsmässig hochgefährliches, Neuland betrat. Ganze Filmgesellschaften waren wegen weit minderer und harmloserer Filme bankrott gegangen. Niemand wusste wie die Öffentlichkeit auf die Zumutung reagieren würde, die dieses aus der Zeit gefallene Filmwerk darstellte. Der Exorzist, man darf es nicht vergessen, war der Zeit in die er gehörte um zwei Jahrzehnte voraus. Was wenn der künstlerische Ansatz der Regie nicht erkannt werden würde? Was wenn es zu einem öffentlichen Aufschrei der Empörung kam, dem sich die Kirchen anschlossen?
Ein solcher Aufschrei konnte selbst Warner Brothers unter sich begraben.
In der Tat kann man bildlich vor sich sehen, wie der zuständige Studio-Funktionär angesichts der neuesten „Rushes“ (gefilmtes Rohmaterial) die eine Zwölfjährige zeigen, die sich vor laufender Kamera ein Kreuz in ihren blutigen Schritt rammt, vom zehnten Stock des Warner Bros. Building hinabblickt und sich fragt, ob es problemlösende Wirkung haben könne sich dem Straßenbelag in fallender Weise anzunähern.

Zunächst schienen die Befürchtungen durchaus berechtigt: Zwar erlebte Der Exorzist schon kurz nach dem Kinostart eine in dieser Dimension nie dagewesene Mundpropaganda, so dass die Besucherzahlen entsprechend hochschossen. Doch trotz der extrem starken Publikumsreaktionen die die Massen in die Kinosäle trieben, waren die meisten Filmkritiker, wie erwähnt, ganz und gar nicht angetan.

Einen „Brocken eleganten okkultistischen Gewäschs“ nannte Vincent Canby, der konservative Starkritiker der New York Times den Film und befand „Der Exorzist, die Geschichte vom Versuch das Leben der von einem Dämon besessenen Regan zu retten, ist ein praktisch nicht auszuhaltender Film aber nicht notwendigerweise weil er den Diabolimus mit der tumben Frömmigkeit behandelt, die Filmemacher früher für die Geschichten von Heiligen aufwendeten. Er stellt einen neuen Tiefpunkt für groteske Spezialeffekte dar“ Insgesamt kam Canby zu dem Schluss „ Nach Geschäftsberichten kostete Der Exorzist um die zehn Millionen Dollar. Das Geld hätte man besser ausgegeben um ein paar Betten in der Paine-Whitney Clinic zu subventionieren“

Der große (selbsternannte) Intellektuelle unter den amerikanische Filmkritikern, quasi eine männliche Pauline Kael, Andrew Sarris beklagte in The Village Voice: „Friedkins größte Schwäche liegt in seiner Unfähigkeit genügend visuelle Informationen über seine Charaktere einzuflechten….ganze Passagen der Exposition des Films waren ein einziges langes Gewirr aus Small Talk und Name Dropping….Der Exorzist ist zwar auf einer Ebene als qualvolle Unterhaltung erfolgreich, aber auf einer anderen, tieferen Ebene ist er ein durch und durch bösartiger Film“ Das Bemerkenswerte an diesen Ausführungen ist, dass Sarris offensichtlich als weltweit einziger Kritiker die Auffassung vertrat, dieser Film verfüge über so etwas eine klassische Exposition.


Lobbycard aus Deutschland. Regan sieht ein bißchen aus wie ein kleinwüchsiger Jesus von hinten.

Selbst der Rolling Stone stellte sich frontal gegen den Film: „Nicht mehr als ein religiöser Pornofilm, das geschmackloseste Stück Ramsch jenseits von Cecil B. DeMille (ohne den Witz und die erzählerischen Fertigkeiten dieses Gentlemans)“ geiferte Jon Landau, nicht ohne Bosheit.
Und in vollumfänglicher Verkennung der tausend Unzulänglichkeiten von Cecil DeMilles Monumentalfilmen.

Am interessantesten, und selbst-entlarvendsten, sind die Einlassungen von William K. Everson, dem wir für seine brillanten Abhandlungen über den klassischen Horrorfilm der 30er, 40er und 50iger Jahre unendlichen Dank schuldig sind. Er schrieb:

Es wäre viel schwerer gewesen das Publikum zu manipulieren, wenn der Film auf Farbe und Spezialeffekte verzichtet hätte. Nicht dass ein Filmemacher nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel auch benützen sollte, doch sehr oft sind diese Mittel lediglich der Ersatz für wirkliches Talent. Man kann nicht bestreiten, dass Der Exorzist ein Publikum wirklich mitreißt; und trotzdem ist es ein billiger und minderwertiger Film – häufig ungeheuer plump in seiner Unfähigkeit auch nur glatte Szenenanschlüsse zustande zu bringen -, der nichts von der Professionalität besitzt die den älteren und sicher konventionelleren Film über Besessenheit The Lady And The Monster, auszeichnete.“

Eine wohltuende Ausnahme bildete da der schon damals bekannte Kritiker Roger Ebert von der Chicago Sun Times. Dennoch muss es für ihn 1973 ein ziemlich großes Risiko gewesen sein sich gegen den Konsens des gesamten filmkritischen Establishments der USA zu stellen. Er war damals erst vier Jahre Filmkritiker, bis er – als erster Kritiker überhaupt – den Pulitzerpreis für Journalismus erhielt sollte es von da an noch zwei weitere Jahre dauern, und erst in den Achtzigern sollte Ebert, nicht zuletzt wegen der Fernsehshow(s) mit Gene Siskel, als der bedeutendster Filmkritiker der Welt gelten. 1973 war er ein absoluter Neuling. Und doch vergab er für den Film die Höchstwertung von vier Sternen. Und doch erkannte er, wie man in seiner Bewertung zwischen den Zeilen und an der Auswahl des Vergleichsbeispiels deutlich herauslesen kann, als Einziger die Verbindungen zu den Filmen Ingmar Bergmans (der Film ist streckenweise mit Sequenzen gepflastert, die aussehen als wären sie vom großen Sven Nykvist für Bergman eingerichtet und photographiert worden). Und er war einer der wenigen, die bereit waren den künstlerischen Mehrwert von Der Exorzist zu erkennen und zu verteidigen, als es noch nicht en vogue war, dies zu tun.


Damals schrieb er, bemerkenswert hellsichtig:


Der große Roger Ebert
"Nur selten berühren uns Filme so tief. Als ich das erste Mal „Schreie und Flüstern“ sah, merkte ich wie ich in meinem Kinositz zusammensank, in dem Versuch den Schlussfolgerungen von Bergmans Geschichte irgendwie zu entfliehen. „Der Exorzist“ hat dieselbe Wirkung- aber wir fliehen nicht vor Friedkins Schlussfolgerungen, wir weichen zurück vor der direkten emotionalen Erfahrung mit der er uns attackiert. Der Film ruht nicht auf der Leinwand; er ist ein Frontalangriff [….] Es mag sein, dass die Zeiten in denen wir leben uns auf diesen Film vorbereitet haben. Und Friedkin hat uns zugegebenermaßen einen Großen geschenkt. Ich habe immer einen übergeordneten Ansatz der Filmkritik bevorzugt; Ich frage mich, wie gut ein Film, als Film seiner Art ist. „Der Exorzist“ ist einer der besten Filme seiner Art, die je gedreht worden sind; Er überschreitet nicht nur die Genres Schrecken, Horror und des Übernatürlichen, er übertrifft auch seriöse, ambitionierte Arbeiten in derselben Richtung wie Roman Polanskis „Rosemaries Baby“. Carl Dreyers „Die Passion der Heiligen Johanna“ ist ein größerer Film – aber natürlich, nicht annähernd so bereit die Wege auszunutzen auf denen Film Gefühle manipulieren kann. „Der Exorzist“ tut dies mit aller Gewalt.“


Einladungskarte zur Vorführung für die Oscar - Juroren
Wie so oft in seiner langen Karriere war es die Geschichte die Roger Ebert recht gab.

Auch wenn die Meinung der Kritiker gespalten war – die der Zuschauer war es nicht; sie strömten und strömten, und strömten.

Dann näherte sich der April 1974 und damit auch die Oscarverleihung. Als Anfang März die Nominierungen für den ältesten Filmpreis der Welt bekanntgegeben wurden, gab es eine Sensation mit der Niemand gerechnet hatte: Was noch niemals zuvor einem - scheinbaren – Horrorfilm zuteil geworden war, ereignete sich nun. Nicht weniger als zehn Oscarnominierungen regneten auf Der Exorzist hernieder, darunter auch eine für den Besten Film des Jahres. Nie zuvor in der Geschichte des Films war ein Horrorfilm in dieser Kategorie nominiert worden, und es sollte auch danach nur ein einziges Mal geschehen. Im Jahre 2000 bei The Sixth Sense.

Die Nominierungen im Einzelnen waren:


Bester Film des Jahres    (William Peter Blatty, Produzent)
Beste Regie - William Friedkin
Beste Drehbuchadaption - William Peter Blatty nach seinem Roman
Beste Hauptdarstellerin -  Ellen Burstyn als Chris MacNeil
Beste Nebendarstellerin - Linda Blair als Regan MacNeil
Bester Nebendarsteller - Jason Miller als Father Karras
Beste Kamera - Owen Roizman
Bestes Produktonsdesign & Szenenbild - Bill Malley, Jerry Wunderlich
Bester Schnitt - Jordan Leondopoulos,  Bud S. Smith, Evan A. Lottman, Norman Gay
Bester Toneffektschnitt - Robert Knudson, Christopher Newman



Max Von Sydow und Linda Blair bei den Golden
Globes 1974
Auch bei der Golden Globe Verleihung, die traditionell im zeitlichen Vorfeld der Academy Awards stattfindet, kam es zur Überraschung. Nicht nur weil Der Exorzist die für die Globes ungewöhnlich hohe Zahl von sieben Nominierungen errang – er gewann auch noch vier Preise in den Hauptkategorien, nämlich:

Bester Film des Jahres - Drama

Beste Nebendarstellerin/Spielfilm - Linda Blair

Bestes Drehbuch/ Spielfilm - William Peter Blatty

Beste Regie/Spielfilm - William Friedkin


Weitere Nominierungen hatte es für Hauptdarstellerin Ellen Burstyn, Nebendarsteller Max von Sydow und Linda Blair als Beste Newcomerin gegeben.


Bei der darauffolgenden Oscarverleihung musste sich Der Exorzist zwar letztlich der raffinierten 20iger Jahre Gaunerkomödie Der Clou geschlagen geben, doch Drehbuchautor William Peter Blatty (immerhin gegen die Konkurrenz von Paper Moon und Serpico) und das Toneffektschnitt-Team wurden jeweils mit dem Oscar ausgezeichnet.



Wichtiger als die Preise selbst war der Wandel in der Wahrnehmung der Fachwelt und der seriösen Kritik, den sie auslösten.


Die deutsche Synchron-Besetzung von 1973 - ein Ausnahme-Ensemble

Selbst in Deutschland schien man sich, als die Synchronfassung entstand, absolut bewusst zu sein, dass man es hier mit einem ganz besonderen Werk zu tun hatte. Damals befand sich die Synchronkunst noch in einem ganz anderen Zeitalter, da wurden – heute unvorstellbar – Ensembleszenen mit so viel Zeit wie nötig mit allen nötigen Mitgliedern des Ensembles vor den Mikrofonen aufgenommen, statt, wie heute, einzelne Tonspuren zusammenzumischen. Nicht von ungefähr galten die deutschen Synchronisationen in den 60er, 70er und 80er Jahren als die mit Abstand besten weltweit.

Für Der Exorzist aber ging man 1973 noch einen ganzen Schritt weiter.
Theaterstars wie Agnes Fink, Michael Degen und der große Dieter Borsche (einer Mehrheit vermutlich nur bekannt als vertrottelter Salon-Brite Sir David Lindsay aus den Orientabenteuern von Karl May, an der Seite von Lex Barker als Kara Ben Nemsi und Ralf Wolter als Hadschi Halef Omar; auf der Bühne aber war er schon seit den 50igern ein Titan. Wer ihn als Pius XII. in „Der Stellvertreter“ erlebt hat, weiß genau was ich meine) die eigentlich nicht im Synchronbereich arbeiteten wurden mit den besten Synchronprofis gekoppelt, die es damals gab, wie Charles Regnier und der deutschen Stimme Bud Spencers , Arnold Marquis. Herausragend die Leistung von Hanne Wieder (kennen die meisten als grüngesichtiges Räuberinnen-Gespenst aus Das Spukschloss im Spessart, 1960) als Stimme des Dämons – sie ist auf dem Niveau von Mercedes McCambridge. Diese ungemein aufwendig erstellte Synchronfassung wurde auch nicht von irgendeinem Dialogregisseur inszeniert, sondern, enorm ungewöhnlich, von niemand geringerem als dem mehrfach oscarnominierten deutschen Meisterregisseur Bernhard Wicki („Die Brücke“ 1959, „Das Spinnennetz“ 1989).

Daher sei an dieser Stelle auch ausdrücklich vom 2000er Directors Cut von Der Exorzist abgeraten. 

Zum Einen wurde der Film, um 10 Minuten mehr an Material einfügen und ihn für heutige Tonsysteme maßschneidern zu können, neu synchronisiert. Und obschon man sich dabei Mühe gab, vermisst man, so man Der Exorzist auf Deutsch sehen will, ständig die grandiose Kinosynchronisation, der die Patina des Künstlichen, im Gegensatz zur Neufassung komplett fehlt.
Zum anderen tragen die zehn Minuten nichts wesentlich Neues zum Film bei; im Gegenteil sie schaden ihm, weil plötzlich dehnende Längen entstehen und der Rhythmus gebrochen wird. In der Original-Kinofassung hingegen ist der Film so extrem auf Kante geschnitten, in einem so perfekten Rhythmus, dass man völlig mitgerissen wird. Ob man will oder nicht.

Heute ist die Situation eine ganz Andere als 1973.

Der Exorzist hat mittlerweile unumstrittenen Klassiker-Status erlangt. Er wird regelmäßig in entsprechenden Umfragen und Bestenlisten als „unheimlichster Film aller Zeiten“ genannt, viele Meisterregisseure, wie Martin Scorsese, führen ihn stolz in ihrer persönlichen Top Ten. Der Exorzist gilt nicht nur unangefochten als einer der wichtigsten Filme der 70iger Jahre, er ist auch einer der kommerziell erfolgreichsten. Mit über 110 Millionen verkauften Eintrittskarten steht er bis heute eisern auf Platz neun der meistgesehenen Kinofilme weltweit. Im krassen Gegensatz zu 1973 dürfte es in unseren Tagen mit außerordentlichen Schwierigkeiten verbunden sein, einen Kritiker aufzutreiben der den Wert dieses Films nicht anerkennt. 


Selbst Lego hat den Film für sich entdeckt.


Womit sich auf elegante Weise der Bogen schließen lässt,zu der nicht ganz unwesentlichen Frage wie eigentlich meine eigene Wenigkeit Der Exorzist einschätzt. 

Die Ehrlichkeit gebietet zunächst einmal festzuhalten, dass der Film natürlich nach den Maßstäben und aus dem Blickwinkel des heutigen Zuschauers deutlich an Schockwerten verloren hat. An der Oberfläche, der Ebene des Niederknüppelns, hat die Wirkung des Films in ihrer Intensität nachgelassen. Das wackelnde Bett dürfte heute mancherorts eher zum liebevollen Schmunzeln anregen. Niemand wird heute mehr wegen Der Exorzist hysterisch werden oder gar das Bewusstsein verlieren.
Auch deshalb, weil es ein Massenphänomen wie weiland 1973 nicht mehr geben wird.

Auf allen anderen Ebenen allerdings, ist das Werk noch völlig intakt, vibriert quasi regelrecht vor Energie. Selbst vierundvierzig Jahre später (der Film ist damit genau so alt wie Max Von Sydow während der Dreharbeiten) kann dieser Film noch eine solche Atmosphäre und Spannung aufbauen, indem er auf der Klaviatur unseres Unterbewusstseins musiziert, dass die Hand nach dem Abspann sehr, sehr vorsichtig und sehr, sehr schnell nach dem Lichtschalter tastet. Der Exorzist mag heute seiner spektakulären (spekulativen?) Ebene entblößt sein, das aber scheint mir ein positives Phänomen, denn so fällt unser Blick ganz unverstellt auf das Kunstwerk, das auf diese Weise zum Vorschein kommt. Ein sehr starkes, intensives und großartig gespieltes menschliches Drama – in einer Extremsituation, die auch extrem dargestellt wird.
Ein Drama , das immer noch einen sehr starken Eindruck hinterlässt.

Wir haben hier einen Film der sich, im Gegensatz zu vielen schlechten modernen Horrorfilmen, deren Hauptaugenmerk primär darauf gerichtet scheint welcher Protagonist wie schnell in Scheiben geschnitten wird und in wie viele Stücke, tatsächlich mit komplexen Ideen, realen Schicksalen und uralten sakrale Konzepten beschäftigt; und dies zudem auf hochintelligente Weise. „Der Exorzist“ ist dabei der seltene, vielleicht sogar einzigartige Versuch eines Films sich die eigene Haut abzustreifen und mit aller Gewalt gegen den ihm als Medium innewohnenden Eskapismus anzukämpfen; es spricht für die Qualität dieses Films dass es ihm gelang diesen unmöglichen Kampf zu einer bestimmten Zeit, in einem bestimmten historischen Moment, für ein bestimmtes Publikum sogar zu gewinnen.

Von Kunst spreche ich dabei besonders aus zwei Gründen. 


Erstens liefert Der Exorzist nicht nur einem extrem reichen und vielschichtigen Subtext („Lässt man die religiöse Bedeutung einmal außer Acht, so begriff jeder Erwachsene in Amerika, was der übermächtige Subtext des Films sagte; sie begriffen, dass der Dämon in Regan enthusiastisch auf den Fuck Cheer in Woodstock reagiert hätte.“ erläutert Stephen King in „Danse Macabre“) sondern auch wegen des Kaleidoskops unterschiedlicher Deutungsmöglichkeiten, die er bietet. 
Man kann den Film in seiner Gesamtheit durchaus auch als Allegorie auf die weibliche Pubertät in der Maske eines düsteren Schauermärchens begreifen; Man kann ihn als symbolistische Darstellung des Zerfalls der klassischen amerikanischen Kleinfamilie vor der Umwälzung des Vietnamkriegs begreifen, oder als verfremdete Groteske über das Trauma des sexuellen Missbrauchs; man kann die Geschichte eines Priesters darin sehen, der den Glauben an Gott erst wiederfindet, als er gezwungen ist an die reale Existenz des Teufels zu glauben. Man kann das Ende von Der Exorzist als tragischen Triumph des Glaubens interpretieren – oder als das genaue Gegenteil. Wenn ein Film so viele verschiedene Deutungsoptionen ermöglicht, von denen jede bis in die kleinste Vignette, die zarteste Verästelung der Handlung aufgeht, dann spricht das für die Substanz einer Arbeit. Besonders wenn sie dabei tiefergehende Fragen stellt, statt Antworten zu liefern.
Das spricht für mich für ein Kunstwerk.

Der zweite, in diesem Fall extrem deutliche Aspekt der dafür spricht, dass wir es hier in der Tat mit einem Kunstwerk zu tun haben, scheint mir in der Entsprechung von Form und Inhalt zu bestehen. Der Exorzist bedient sich einer, vom europäischen Kunstfilm inspirierten doch nicht entlehnten, Sprache, die sich perfekt mit dem US Autorenfilm ergänzt, und sich in allen Registern von Kamera, Schnitt, Dramaturgie und Ästhetik ausdrückt. Diese Sprache dient nicht nur aufopferungsvoll dem Inhalt des Films, sie spiegelt ihn, referenziert ihn, potenziert ihn. Dabei wurde sie mit einer Kompromisslosigkeit von so beispielloser Radikalität um- und durchgesetzt, dass das Endergebnis ein, durch eine einzigartigen Vision getragenes, homogenes Gesamtkunstwerk ist, das wie aus einem Guss wirkt.
Und ganz und gar originär.

Auch das, in meinen Augen, ein Merkmal von Kunst.

Wie auch immer man zu William Friedkins Methoden der Schauspielerführung steht (ich lehne sie ab), man kann ihm einen grundsätzlichen Respekt für die furchtlose Radikalität, mit der er in Der Exorzist einen Dammbruch des US Kinos in eine neue Ära gewagt hat, nicht versagen. Polemisch formuliert: William Friedkin hat das amerikanische Kino 1973 entjungfert, und der Sex war nicht einvernehmlich.

Ganz eindeutig ist Der Exorzist ein Meisterwerk des Kinos der Angst.
Ob er der „unheimlichste Film aller Zeiten“ ist, als der er immer wieder die entsprechenden Bestenlisten anführt, ist dabei ebenso schwer feststellbar wie unerheblich.
Wichtig ist, dass er, mit Abstand, einer der besten unheimlichen Filme aller Zeiten ist. 

Eine virtuos inszenierte Achterbahnfahrt ins Herz unserer Urängste und zugleich intensives Glaubensdrama, technisch brillant, visuell betörend und außerordentlich gespielt.

Die letzten Worte überlasse ich jemandem, der das alles viel besser sagt, als ich es je könnte:

„Ich habe „Der Exorzist“ über die Jahre immer wieder studiert, und fand ihn jedesmal wirkungsmächtig. Weil er auf Charakterentwicklung, Details und einem realistischen Milieu gründet, altern die Schocks nicht. Sie scheinen immer noch aus dem Material zu erwachsen [….] „Der Exorzist“ war und ist ein brillanter Horrorfilm, ein Film mit der archetypischen Fähigkeit uns zu berühren und zu verstören. Er wird überleben, solange sich Menschen für gute Filme interessieren.“

ROGER EBERT im Jahre 2000 

Here we go, Sir.
Here we go.



POST SCRIPTUM:


Ich bin natürlich noch eine Anekdote schuldig:

Im Bild: Paul Bateson, später ein erfolgreicher Serienmörder
Einer der schauerlichsten Aspekte bezüglich Der Exorzist hat mit dem Inhalt des Films selbst gar nichts zu tun, sondern bezieht sich auf eine schier unfassbare Querverbindung die den Film mit William Friedkins späterem Werk Cruising (1980) in einer schockierenden Symbiose verknüpft. In einer der Szenen in denen Regan medizinisch untersucht wird, gedreht im NYU Medical Center, – hier wurden übrigens weitgehend wirkliche Ärzte eingesetzt – ist kurz ein junger Röntgenassistent zu sehen. Es handelte sich auch hierbei nicht um einen Schauspieler sondern um einen jungen Mann namens Paul Bateson, der seinerzeit in verschiedenen New Yorker Krankenhäusern tatsächlich als Röntgenassistent tätig war, und so zu dem Kurzauftritt (Kein Text) in Der Exorzist kam.
Vier Jahre später, September 1977, ermordete derselbe Paul Bateson den Filmkritiker Addison Verrill, den er im homosexuellen Lack- und Ledermilieu von New York kennengelernt hatte, und zerteilte den Leichnam. Ein Telefongespräch des Killers mit dem Reporter der Zeitung The Village Voice, die seinerzeit Der Exorzist verrissen hatte, brachte die Polizei auf Batesons Spur. Er wurde verhaftet und gestand den Mord.
Er gestand noch mehr.
Zwischen 1973 und 1977 wurden insgesamt mindestens sechs Personen aus dem Lederschwulenmilieu, einer der vielen New Yorker Subkulturen, ermordet. Sie verschwanden spurlos aus den Clubs die sie besucht hatten, erst später wurden ihre zerstückelten und verstümmelten Überreste in Plastiktüten („bags“) vom Hudson River an Land gespült.
Man sprach daher von den „Bag Murders“ oder, vorurteilsbehafteter von den „Fag In The Bag Murders“. Während der Haft nun gestand Bateson jener unbekannte Serienmörder zu sein, der die Homosexuellen New Yorks jahrelang in Todesangst gehalten hatte.

1980 drehte William Friedkin den ebenso hochinteressanten wie beunruhigenden Film „Cruising“ mit Al Pacino, der , verfremdet und nach San Francisco verlegt, die Geschichte der „Bag Murders“ nacherzählt und mit der verstörenden Erzählung um einen Hetero-Cop der Undercover im Homosexuellen-Milieu ermittelt, verknüpft. Billy Friedkin erinnerte sich, dass er dem vermutlichen Täter schon einmal begegnet war….
….. und engagierte ihn heimlich als inoffiziellen Berater für „Cruising“. Friedkin suchte Bateson allen Ernstes mehrmals im Gefängnis auf, um gewisse Details und Umstände abzuklären. „Cruising“ dürfte somit der nachweislich einzige Film sein, dessen - ungenannter - „technical advisor“ ein Serienmörder war.

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